Seemannsgarn - Nao San Gabriel 1/100 von Wolfgang Kring

Das Zeitalter der Entdeckungsreisen hat mich seit jeher interessiert. Christoph Kolumbus war bei Weitem nicht der erste und schon gar nicht der letzte große Entdecker. Namen wie Vasco da Gama und Ferdinand Magellan gehören in diese Zeit, ebenso wie Francis Drake, Pedro Cabral und viele Andere.

Die Arbeitspferde dieser Abenteurer waren ihre Schiffe; kleine Karavellen, schnelle Galeonen oder wuchtige Karracken. Portugal, Spanien, England und andere Nationen fingen an, das (europäische) Weltbild zu ändern. Ferne Länder wurden erkundet und ganze Kontinente entdeckt. Doch mit der Entdeckung begann auch deren Ausbeutung. Unglaubliche Gewinne und sagenhafter Reichtum lockten. So konnte es nicht ausbleiben, dass es unter den Seemächten bald zu Rivalitäten und Kriegen kam. Eine Möglichkeit, fremde Seefahrer von entdeckten Schätzen fern zu halten waren falsche Angaben über tückische Untiefen oder Strömungen, über anhaltende Flauten oder nie endende Stürme, vom Erreichen des Weltendes (damals glaubten noch viele, dass die Welt eine Scheibe sei), aber auch Berichte über Kannibalen und furchterregende Seeungeheuer sollten Konkurrenten abschrecken.

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Auf vielen historischen Seekarten sind derartige Monster zu finden. Während einige von ihnen Walen gleichen, haben andere Ähnlichkeiten mit Kraken, Seepferdchen oder fliegenden Fischen. Am meisten faszinierten mich aber Bilder von Seeschlangen, wie sie ihren langen Körper um ganze Schiffe wickelten um sie in die Tiefe zu reißen. Als letzte noch lebende dieser Art scheint „Nessie“ aus Schottland eher sanftmütig und friedlich, vor allem sehr zurückgezogen zu leben …behaupten zumindest ihre zahlreichen Fans.

Das Modell

Das passende Schiff war mit der Karracke „NAO SAN GABRIEL“ von Revell schnell gefunden, einem Bausatz, den ich seit längerem unvollendet in einem meiner Regale stehen hatte. Ursprünglich stammte die Form zum Modell von der portugiesischen Firma Occidental und steht aktuell als „CONQUISTADOR SHIP (XVI CENTURY) von Zvezda in den Regalen der Modellbauläden unseres Vertrauens.

Vor Jahren hatte ich bereits beide Rumpfhälften und die Decks zusammengeklebt, ein paar weitere Details verbaut und die Masten locker eingesteckt, war dann aber nicht mehr weiter gekommen. So war dieses Mal mein erster Schritt nicht der Zusammenbau, sondern das Zerlegen des Rumpfes. Mit einer fotogeätzten Säge, einem Küchenmesser und mehreren Skalpellen bewaffnet ging ich ans Werk. Ich operierte dem Modell direkt vor dem Hauptmast einen kleinen, unregelmäßigen Keil wie ein Tortenstück quer übers Deck heraus. Die Backbordseite schnitt ich vom Kiel bis zum Handlauf –einzelnen Plankenstößen folgend- auf. Auch der Steuerbordseite entfernte ich einen etwa 2 cm breiten – und ebenso unregelmäßigen Streifen.
Somit hatte ich wieder zwei einzelne Rumpfhälften; dieses Mal: Bug und Heck.

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In der anschließenden Rettungs-Operation klebte ich den Rumpf noch einmal zusammen. Da ihm nun einseitig ein Teil fehlte war das Ergebnis ein richtig „schräges“, in sich und allen dreidimensionalen Achsen verdrehtes Schiff. Während Bug und Heck nach oben ragten, wirkte das Mittelschiff tiefer gelegt. Beide Schiffsenden neigten zudem nach Steuerbord, und der Rumpf war voller Löcher. Den Abschluss des Eingriffs bildete das Absägen des überflüssigen Unterwasserschiffes. Gerettet; aber nur, damit seinem Untergang nun nichts mehr im Weg stehen konnte! Das Modell erhielt noch einen Grundanstrich in einem hellen Braunton und wurde zur Alterung mit verschiedenen Enamelfarben (weiß, dunkelbraun, schwarz, moosgrün,…) mehrmals trockengemalt. Zum Schluss erhielt das zukünftige Wrack noch ein paar Fässer und Kisten aufs Deck verteilt und die Bruchstelle an Deck verzierte ich mit kleinen Echtholzstücken zum Imitieren der gesplitterten Planken (und zum Verdecken noch offener Spalten im Rumpf).

Das Monster

Länger als beim Schiffsmodell dauerte meine Suche nach einem geeigneten Seeungeheuer. Ich fand es schließlich im Fantasy-Bereich -wo auch sonst? Dabei handelte es sich eigentlich um einen etwa 25 cm hohen Drachen aus Kunststein. Allem überflüssigen Ballast, wie Rumpf und Flügeln, entledigte ich mich kaltherzig mit der Säge. Den Kopf, Hals und zwei Schwanz-Segmente behielt ich.

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Aber noch fehlte der lange schlangenförmige Körper. Nach mehreren misslungenen Experimenten kam mir die Idee, ein Stück unseres Gartenschlauches zu verwenden. Auch auf die Gefahr hin, dass meine Frau beim Blumengießen nun nicht mehr an all ihre Beete herankommen würde ging ich in den Garten und schnitt ein kleines Schlauchstück ab (…und dann noch eines; als Modellbauer weiß man schließlich nie, was man fürs nächste Modell alles gebrauchen könnte, oder?).
Der Gartenschlauch war ideal, allerdings wollte er sich nicht von alleine in dieser extrem gekrümmten Position halten; …und die Oberfläche entsprach auch nicht ganz dem Schuppenmuster der Drachenfigur.
Die Lösung für das erste Problem fand ich in Form von Kabelbindern, die ich durch den Schlauch zog um diesen damit fest an den Schiffskörper zu binden.

Um die geschuppte Haut des Monsters darstellen zu können fertigte ich mir aus lufttrocknender Knetmasse ein paar Abdrücke der Oberfläche vom Hals des Drachens. Auch seinen gezackten Rückenkamm drückte ich mehrmals in die Knete. Im nächsten Schritt strich, bzw. füllte ich (mein Allzweckmittel) Acrylgel in diese Negativ-Formen. Nur einen Tag später erhielt ich so hauchdünne und flexible Monsterhaut mit der benötigten Oberfläche. Kleinere Luftlöcher im Rückenkamm konnte ich problemlos mit UHU-Styroporkleber füllen.
Stück für Stück konnte ich nun die Hautfetzen an den Schlauch kleben. Zu Guter letzt erhielt das Monsterchen seine grünliche Farbe. Einige Schuppen hob ich noch farblich mit rotbraun und blau hervor, was ein schönes, unregelmäßiges Hautmuster ergab.

Die Masten

Um dem Modell einen Hauch von Tragik zu verleihen musste mindestens einer der Masten brechen. Ich entschied mich für den Großmast, vor allem weil er direkt an der „Würgestelle“ des Ungeheuers stand und ein knickender zentraler Mast Auswirkungen auf fast alle Bereiche der Takelage des Schiffes haben würde. Fock- und Besanmast durften also stehen bleiben, dafür musste der Hauptmast zweimal brechen. Den unteren Bruch ritzte ich zuvor mit einem Skalpell an. Ich schnitt –quer zur Bruchrichtung- kleine Kerben in den Mast. Danach nahm ich ihn in mit beiden Händen und brach ihn vorsichtig mit Druck eines Daumes entzwei. Durch die Skalpell-Schnitte wirkte die Bruchstelle wie gesplittertes Holz. Auch die Mastspitze konnte ich einfach abbrechen, um sie anschließend angewinkelt wieder anzukleben.
Ganz ungeschoren kam aber auch der Fockmast nicht davon. Auch wenn er selbst aufrecht stehen bleiben durfte klebte ich ihm zumindest seine (beiden) Rahen schräg an.

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Die Takelage

Alleine schon durch den zerstörten Mast war es unmöglich geworden, das Modell entsprechend der Bauanleitung zu Takel. Während viele Seile ihre Spannung verloren hatten, würden andere wegen zu viel Spannung kurz vor dem Reißen stehen, oder schon gerissen sein; ...und deren Enden dann lose herunterhängen, wieder andere würden sich verheddern, oder kreuz und quer in der Takelage hängen. Auch hier ließ ich meiner Fantasie und dem vereinfachten Takelschema der Bauanleitung freien Lauf.
Außerdem ersetzte ich die relativ groben und starren Wanten aus Plastik durch Eigenbauten aus Nähgarn. Dazu benützte ich einen alten „Knüpfrahmen“ der Firma Heller. Aber ich verzichtete auf das Verknoten der einzelnen Querverbindungen. Geklebt hielten sie auch; und jede Auflösungserscheinung erschien mir passend zum Zustand des restlichen Schiffes. Für alle Landratten unter den Lesern: Als Wanten bezeichnet man die großen „Strickleitern“ seitlich der Masten, auf denen in Piratenfilmen die entführten Prinzessinnen immer hoch in die Masten flüchten. Ganz nebenbei stützten und stabilisierten sie die Masten und hielten sie in ihrer Position, damit diese allen Belastungen (durch Takelage, Segel, Wind und Wetter) standhalten konnten.
Ein weiterer Vorteil dieser „handgemachten“ Wanten war ihre Flexibilität, die sich vor allem beim fallenden Hauptmast bezahlt machte.

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Die Segel

Für die Herstellung der Segel bin ich nochmals auf Diebestour in unserem Haushalt gegangen. In der Küche räuberte ich Butterbrotpapier, das ich in Wasser tränkte und dann auf die Plastiksegel des Bausatzes legte. Mit einem Borstenpinsel tupfte ich sämtliche Luftblasen und Falten heraus. Anschließend überstrich ich sie mit verdünntem Holzleim. Ausgetrocknet hielt der Leim die Segel in Form und sorgte zudem für ausreichend Stabilität. Doch was hatten aufgeblähte Schönwetter-Segel an einem dem Untergang geweihten Schiff zu suchen? Nix! Also weichte ich die Segel nochmals mit Wasser ein, befestigte diese nassen Lappen provisorisch mit Wäscheklammern an ihren Positionen und konnte sie so in die nun passende Form bringen. Einigen von ihnen nahm ich auf diese Weise sprichwörtlich den Wind aus den Segeln. Doch am meisten Spaß hatte ich mit dem Großsegel. Zum einen ließ ich es zerreißen, zum anderen berührte es –dank des gebrochenen Mastens- die Rah des Fockmasts, das Bugkastell und das Monster. Das Segel bekam Falten, Dellen und Beulen und passte sich, während es langsam wieder trocknete, immer mehr seiner neuen Umgebung an.

Was dem Einen seine maßgefertigten Segel, erschien Anderen offenbar nichts anderes zu sein, als Altpapier, das nach Entsorgung verlangte. Zu meiner Erleichterung konnte ich sie dann doch noch vor meiner Frau und dem Papier-Container retten. Sofort begann ich mit dem Bemalen, um sie so schnell wie möglich auch mit dem roten portugiesischen Kreuz kennzeichnen zu können.

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Kleiner Exkurs in die Heraldik (Wappenkunde). Als der Papst den Templerorden verbot, gehorchten fast alle europäischen Monarchen dem Aufruf und verfolgten diesen sagenumwobene Ritterbund. Viele Templer wurden gefoltert und getötet. Lediglich der portugiesische König widersetzte sich und bot flüchtigen Templern Schutz. Schließlich musste auch er sich dem zunehmenden Druck der Katholischen Kirche beugen. Er löste den Templerorden auf, aber nur, um selbst einen neuen Ritterbund zu gründen –mit ihm als Anführer und all den alten Templern als Brüder. Auch übernahm er das alte Templerwappen, ein rotes Kreuz auf weißem Grund. Nur legte er auf das rote Kreuz noch ein kleineres weißes. Dieses kombinierte Kreuz war nicht nur zu Zeiten der Entdecker auf den Segeln der portugiesischen Schiffe zu finden, sondern steht noch heute als Symbol für Portugal.

Diorama

Für das Diorama benötigte ich eine Styroporplatte, Gips, Acrylgel und einen selbst gebastelten Holzrahmen. Die Styroporplatte diente als Untergrund und fand ihren Platz im Rahmen. Mit dem Gips formte ich die Wellen rund ums Schiff und meine “Nessie“. Hierbei ließ ich mehr meiner Fantasie freien Raum, als dass ich mich an schnöde Physik, wie der Berechnung von Wellenverläufen und Wellenbrechungen gehalten hätte. Das physikalische Prinzip von Ursache und Wirkung lässt sich bei diesem Projekt sehr einfach beschreiben: Ich wollte ein solches Modell haben, also fing ich an, es zu bauen!

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Nach dem Bemalen der Wasserfläche und dem Einsetzten des Modells folgten noch einige Schichten Acrylgel und ein wenig Trockenmalen mit weißer Farbe zur Darstellung der Gischt. 

Figuren

Aus meiner Krabbelkiste zog ich ein paar Matrosen, die ursprünglich zur SANTA MARIA von Revell gehörten. Aber auch sie bedurften ein wenig chirurgischer Umgestaltung um der Situation gerecht zu werden. Mehreren Männchen schnitt ich die Gliedmaßen ab, um sie in andere Position wieder anzukleben. Anstatt still da zu stehen war Wegrennen, Panik und ins Wasser springen angesagt.

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Fazit

Eigentlich gab es an dem Modell nichts, was ich nach dem Zusammenbau nicht wieder selbst zerstörte. Das war auch einmal eine ganz spezielle Erfahrung als Modellbauer.
Die NAO SAN GABRIEL ist ein schön zu bauendes Schiffsmodell mit all den Vor- und Nachteilen, die ein Segelschiffsmodell –vor Allem was die Takelage betrifft- mit sich bringt. Außerdem ist sie in meiner Vitrine eine witzige und nicht ganz ernst zu nehmende Abwechslung zwischen dem ganzen Einheitsgrau der Flugzeugträger, Schlachtschiffe und Kreuzer. Inzwischen freue ich mich aber auch wieder auf meine grauen Eminenzen, denn zurzeit ist mein Bedarf am Knotenknüpfen gestillt.
Ja; und meiner Frau habe ich einen neuen Gartenschlauch gekauft.

Wolfgang Kring