Man O'War Deckelbild

Modell: English Man O'War
Hersteller: Revell
Maßstab: 1/96 nach Herstellerangabe, eher 1/72
Material: Plastikbausatz, Abziehbilder
Art.Nr.: 05429
Preis: 99,99 €

Das Original

Fast jeder kennt die Galeonen aus der Abenteuerliteratur, sind sie doch der Inbegriff für die schwimmenden Vehikel der Piraten oder vieler anderer abenteuerlustiger Kapitäne. Kaum jemand kann jedoch eine Galeone beschreiben. Dies bleibt auch tatsächlich schwierig, wenn man sie nicht an wenigen ihrer hervorstechenden Merkmale festmachen will. Klassisch sind dabei das ausgesprochen hohe Achterkastell, die ebenfalls sehr hohe Back mit ihrer üppig bunten Bemalung und das spitze Galion. In den verschiedenen Ländern wurden recht unterschiedliche Galeonen entwickelt, in ihrem Erscheinungsbild hatten sie jedoch große Ähnlichkeit.

Insbesondere aus England ist eine geradezu wissenschaftliche Entwicklung des Schiffbaues in der Spätrenaissance bis zum Frühbarock bekannt. Allen voran galten die Dokumente von Matthew Baker – „Fragment of Ancient Shipwrightry“ – für fast hundert Jahre als wegweisend. Seine Kombination von kleineren, wendigen und mit weit tragenden Geschützen ausgerüsteten Schiffe, erarbeitet mit erfahrenen Seeleuten wie Drake, Hawkins und Frobisher, verhalf den Engländern zum Sieg über die „Unüberwindliche Armada“ Phillips II. von Spanien.

Die meisten Galeonen sind durch Bilder überliefert, es gibt einige wenige Originalmodelle, aber meines Wissens kein dokumentiertes Wrack. Die wohl berühmtesten Galeonen, Drakes Golden Hind und die Mayflower, sind beides Rekonstruktionen aus dem 20. Jahrhundert. Einzig die Revenge, auch zeitweise Drakes Flaggschiff, könnte aus Bakers Feder stammen. Es ist also müßig, für das vorliegende Modell nach einem Original zu suchen – man wird keines finden, außer vielleicht in einem alten Piratenfilm...

Das Revell Modell ist ein Sammelsurium von überlieferten Fakten und fantastischen Ideen zum Thema Galeonen. Objektiv betrachtet gleicht dieses Modell jedoch am ehesten den schweren Galeonen der Spanier, die als bauchige Handelsschiffe das Gold Südamerikas nach Europa brachten, und weniger den geradezu legendären, schnellen und wendigen Galeonen der Engländer. Aber in diesem Fall soll man nicht kleinlich sein, auch ein gekapertes, gekauftes oder gechartertes Schiff kann als „Man O'War“ in Englands glorreicher Flotte gedient haben. Beispiele dafür gibt es einige.

Bei den alten Auflagen der Segelschiffbausätze war immer ein kurzer Abriss der Schiffsgeschichte auf dem Karton und, etwas ausführlicher, auf der ersten Seite der Bauanleitung. Will man die didaktische Komponente dieses schönen Hobbys näher betrachten, so ist es eine echte Lücke, dass die Geschichte der Bausatzobjekte nicht mehr abgedruckt ist.

Der Bausatz

Als kleiner Junge, ich war vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt, sah ich den großen, bunten Bausatzkarton mit der Galeone unter vollen Segeln das erste Mal. Schon zutiefst begeistert von Piratengeschichten – allen voran Tom Sawyers Vorstellungen – wollte ich dieses Schiff gern haben. Ich hätte das Modell völlig versaut. Nach wie vor halte ich Galeonen für die schönsten Fahrzeuge, welche die Schiffbaukunst hervorgebracht hat.

Bereits der erste Blick auf das Deckelbild lässt die alte „Spanische Galeone“ von Revell wiedererkennen. Nach kurzer Recherche kam heraus, das es in den Siebzigern auch eine große englische Galeone als Man O'War gab. Lustig dabei, als der Bausatz wirklich neu war, stand es nicht extra drauf. Lediglich die Boxart wurde geändert. Mal ist das fertige Modell auf dem Karton, dann ein gemaltes Bild – übrigens die gleiche Szene wie die jetzige Wiederauflage.

Mit nur wenigen Veränderungen wurde damals aus dem Spanier ein Engländer: Löwenkopf am Galion statt Adlerkopf und einem Bonaventurmast, das Großsegel mit Elizabeths I. Initialen und Tudorflaggen, zack ist der Papistenkahn konvertiert. Ansonsten alles beim Alten. Deshalb aber nicht weniger schön oder weniger interessant, ganz im Gegenteil.

Das Modell kommt in einem großen Stülpdeckelkarton mit schönem Deckelbild daher. Es zeigt das angreifende Kriegsschiff unter vollen Segeln von steuerbord vorn. Die großen Spritzrahmen liegen in einer Klarsichtplastiktüte, ebenso die separat verpackten 40 Figuren sowie Flaggen und Abziehbilder. Für diese Besprechung mussten die Rahmen natürlich aus der Tüte genommen werden, bereits hierbei verhakten sich Teile miteinander und einige Belegnägel brachen ab. Eigentlich nicht weiter schlimm, sind eben diese Teile ohnehin zu schwach um den Zug der Taue aufzunehmen. Sicherlich würde aber Abteilung X auch für Ersatz sorgen. Dennoch ein Grund, vielleicht insgesamt über die Verpackung solch großer Plastikbausätze nachzudenken.

Man O'War Man O'War Man O'War

Für die Takelage liegen drei Rollen naturfarbenes Garn, eine Rolle schwarzes Garn und zwei Sternspulen mit Garn in zwei Farben bei.

Der Bausatz hat eine Menge Potenzial, selbst aus dem Kasten gebaut wird daraus ein imposanter Zimmerschmuck. Erstaunlich ist das geringe Vorkommen von Fischhaut oder Formversatz bei dem alten Bausatz. Dennoch ist bei einigen Teilen vor dem Bemalen ein wenig Verputzen notwendig. Die in zwei verschiedenen Brauntönen gespritzten Plastikteile haben vielfach eine fein erhabene Holzmaserung; eigentlich ja Quatsch, denn Schiffswände, Decks und andere Holzteile waren relativ glatt und die Maserung des Holzes an nicht bemalten Stellen zwar sichtbar, aber nicht erhaben. Diese Holzstruktur ist letztendlich nur hilfreich bei einer holzähnlichen Bemalung. An den Plankenstößen sind sogar Nagelköpfe als kleine Kringel dargestellt. Auch die kann man natürlich diskutieren, haben doch die meisten Holzschiffe, egal welcher Epoche, einen wie auch immer gearteten Schutzanstrich der eine Nagelung nahezu unsichtbar macht.

Man O'War Man O'War Man O'War
Man O'War Man O'War Man O'War

Mehrere Fensteröffnungen mit rautenförmigen Fenstergittern im Achterkastell sind leider geschlossen dargestellt. Hier bietet es sich an, die Fenster zu öffnen und mit geätztem Messinggitter aus dem Zubehörmarkt oder selbst gebauten Gittern zu versehen.

Man O'War

Ein Thema für sich ist die Maßstabsangabe von Revell. Schon andere Modellbauer verwiesen darauf, dass wahrscheinlich eine Angabe von 1/72 zutreffender wäre. Zieht man aber zum Vergleich und zur Ermittlung eines genaueren Maßstabes die Maße zweier englischer Schiffe derselben Epoche heran, kommt man der Sache vielleicht näher. Das Modell hat im Kiel eine Länge von 32 cm. Das erste vergleichbare Schiff, die Warspite, hatte eine Länge im Kiel von 99 Fuß oder 30,1 Meter, ihre Breite maß 36 Fuß oder 10,9 Meter. Der Maßstab wäre hier also ziemlich korrekt angegeben. Die Warspite hatte eine Verdrängung von 680 Tonnen und eine Besatzung von etwa 300 Mann. Die Elisabeth Bonaventure war mit 80 Fuß (24,4 m) im Kiel etwas kleiner. Nimmt man diese Länge als Vorbild, so läuft es auf ein Verkleinerungsverhältnis von 1/76 heraus. Schlussendlich wird der Maßstab irgendwo dazwischen liegen.

Dies ist insofern schade, weil das Modell geradezu nach einer Besatzung aus bunten Pikenieren, Bogenschützen, Musketieren und Matrosen schreit. Figuren gibt es viele am Markt, nur passen sie leider nicht wirklich zu diesem Maßstab. Ich würde aber einfach mal ausprobieren, vielleicht passen die Proportionen doch. Denn die vierzig beiliegenden Männlein in fünf (!) Positionen sind ein bisschen zu wenig.

Man O'War Man O'War

Die insgesamt zwanzig zusammenzubauende Kanonen bestehen pro Stück aus drei Teilen, zwei Rohrhälften und der zweirädrigen Lafette. Auch hier kann der versierte Modellbauer nachbessern, verfügten doch die Schiffe in dieser Zeit keineswegs über eine derart homogene Bestückung wie die Kriegsschiffe wenige Dekaden später. Neben den beiliegenden Lafetten waren Galeonen mit einer Vielzahl unterschiedlichster Geschütztypen und -kaliber ausgerüstet. Selbst unberäderte Blocklafetten wurden in der Armadaschlacht noch gefahren.

Das Beiboot ist hübsch gestaltet, aber für ein Schiff dieser Größe eigentlich zu klein. Auch hier bietet der Markt Hilfen zur Ergänzung oder dem Austausch. Der Cathead, der Kranbalken für den Anker, ist als einfaches Kantholz einzukleben. Zwingend notwendig ist ein unterstützendes Knie an den Seiten der Back.

Man O'War Man O'War

Masten und Takelage sind, wie bei Plastikmodellen üblich, eigentlich zu dünn und unvollständig. Bei relativ einfacher Gestaltung sollten die Masten und Stengen gegen Holzteile ausgetauscht werden, die Plastikspieren verziehen sich ganz sicher bei geringstem Zug. Auch lohnt sich ein Blick in die Fachliteratur, um so wichtige Takelagendetails wie die Bulinen (zum Vorholen des Luvlieks), Nock- und Buggordings sowie Halsen, Hahnepoten und weitere Pardunen und Wanten darzustellen. Denn gerade in dieser Epoche standen die Schiffbauer/Takler kurz vor dem Höhepunkt ihrer Kunst – hatten die großen Segler in dieser Zeit bereits 12 und mehr Wantpaare kommt Revells Man O'War mit ganzen fünf aus… Bei diesen Masthöhen eindeutig zu wenig.

Die tiefgezogenen Plastiksegel sind leicht strukturiert, Kleidersäume der Segel, Bonnets und kleine Falten an den Schothörnern runden das Bild ab. Ob man sie verwendet, ist dem Modellbauer überlassen.

Man O'War Man O'War

Die Wanten sind in schwarzem Plastik gespritzt, auch hier bietet es sich an, sie aus Garn selbst zu knüpfen.

Man O'War

Die Anleitung

In der seit einigen Jahren üblichen Manier farbig in Heftform gestaltet, ist der Bauplan einfach und übersichtlich. Die Titelseite ziert ein gebautes Modell der Galeone mit dem Hinweis auf einen beiliegenden Sicherheitstext, auf den folgenden Seiten kommen die obligaten Basteltipps, eine Farbliste für das sehr bunte Schiff, die üppige Teileübersicht und der Hinweis auf die Ersatzteilversorgung durch die sehr schnelle und freundliche Abteilung X. Ab Seite 12 geht es dann mit dem Bastelvergnügen los. Zuerst werden bis Seite 23 Rumpf und Deck zusammengefügt und bemalt. Insbesondere die komplexen geometrischen Muster auf den Bordwänden sollten vor dem Zusammenbau gemalt werden – es ist einfacher, wenn die Teile flach auf dem Tisch liegen.

Ab Seite 23 beginnt die Takelung des Modells mit ersten Arbeiten am Bugspriet, dem schrittweisen Zusammenbau der Masten und dem Einbau der fertigen Baustufen. Auf Seite 30 geht es weiter mit dem Anknoten der ersten Blöcke an die Rahen, dann folgt das schrittweise Anbringen der Stage und Pardunen und schließlich die Takelung des laufenden Gutes zur Bedienung der Rahen und Segel. Wohl der Übersichtlichkeit geschuldet, hat Revell fast jeder Rah eine Baustufe jeweils für Toppnanten, Geitaue und Brassen gewidmet. Ob dies unbedingt so hilfreich ist, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall gibt das Seiten im Bauplan. Mit dem Aufbringen des Naßschiebebildes "E#R" auf das Großsegel zur Kennzeichnung der Galeone als königlich-elisabethanisches Schiff beginnt die Takelung der Segeleinrichtung. In der letzten Baustufe (80) werden die Flaggen aufgeheißt. Historisch korrekt setzt das Schiff die englische Flagge im Vortopp, zwei Tudorflaggen und einen Wimpel mit Georgskreuz am Bonaventurmast. Direkt aus dem Kasten gebaut, ist der Bau der Galeone hier abgeschlossen.

Man O'War Man O'War Man O'War
Man O'War Man O'War Man O'War
Man O'War Man O'War Man O'War
Man O'War Man O'War Man O'War
Man O'War Man O'War Man O'War
Man O'War Man O'War Man O'War
Man O'War Man O'War Man O'War
Man O'War Man O'War Man O'War

Sehr schade ist, dass an keiner Stelle die Bezeichnungen der Bauteile aufgeführt sind. So wie die Beschreibung des Schiffstyps fehlt, mangelt es auch an der korrekten Benennung der Bau- und Takelagenteile. Wenigstens in der Kopfzeile der Baustufen könnte man erwähnen, was hier gerade getakelt oder gebaut wird.

Fazit

Für erfahrene Modellbauer ein durchaus reizvolles Modell, bietet es doch eine Menge Möglichkeiten, den „Grundbausatz“ erheblich auszubauen. „Aus dem Kasten“ bereits ein üppiges Modell, wird es mit einigen Verfeinerungen zu einem echten Schmuckstück. Mit Anforderungslevel 5 liegt der Hersteller richtig. Allerdings können auch Anfänger bei entsprechender Geduld und striktem Befolgen des Bauplans ein gutes Ergebnis erzielen.

Nur eben „NEW“ ist der Bausatz nicht. Vielleicht eine willkommene Wiederauflage. Warum Revell immer wieder mit diesem blöden Trick zum Kundenfang kommt, ist unverständlich.

Der Preis um die 100 € ist nicht zu hoch. Hinzu kommen aber noch eine Menge Farben und gegebenenfalls Zurüstteile aus dem Zubehörhandel, schnell liegt man dann bei 150 € und mehr.

Ich kann den Bausatz trotz aller Kritik empfehlen.

alt empfehlenswert

Frank Brüninghaus
Modellbauclub Koblenz

Wir danken Revell für das Bausatzmuster