Die Bergung eines Schatzes aus den Tiefen des „Mache ich später mal“-Stapel
Es ist schon sehr lange her, dass ich mir den kleinen 1/400er Bausatz aus der Heller Cadet-Serie gekauft hatte. Davon zeugt auch das Preisschild auf der Schachtel: 2,50 DM (1,28 Euro). Das waren für mich damals zwei Wochen Taschengeld. Es war aber auch die Zeit, als ich begann mehr Bausätze zu kaufen, als zu bauen. So landete das gute Stück auf dem Stapel der ungebauten „Mache ich später mal“-Bausätze. Auch ein zweiter Anlauf scheiterte daran, dass meine Vorstellungen vom fertigen Modell damals stark von meinen Fähigkeiten abwichen.
Das Original
Zunächst ein paar Worte zum Original: Die L‘Occident war ein hölzerner Zweimaster aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie war wie eine Schonerbrigg getakelt, das heißt sie trug Rahsegel am Fockmast und ein großes Schratsegel am Großmast. Zwischen beiden Masten waren mittschiffs die beiden Schaufelräder angebracht. Die L‘Occident ist ein Schwesterschiff der berühmten Sirius, die 1837 als erstes Schiff den Atlantik ausschließlich mit dem damals neuen Dampfantrieb überquerte.
Das Modell
Irgendwann fiel mir dann der Bausatz dann wieder in die Hände und wir wurden endgültig Freunde. Ich begann, mich mit dem für mich völligen Neuland der Segelschiffe und Schaufelraddampfer zu befassen. Diesmal hielt ich durch und nach ca. 180 Stunden konnte ich meine sonst ziemlich graue Sammlung um einen schönen Farbklecks erweitern. Doch der Reihe nach.
Legen wir los
Den Anfang machte die Montage von Rumpf und Deck. Kleine Spalten verlangten ein wenig Spachtelmasse. Es folgten die Fenster am Achterschiff und an den Aufbauten. Sie entstanden aus Plastikplatten. Bisher also reine Routinearbeiten. Ein wenig mehr Geduld forderte dann die Reling aus gezogenen Gussästen. Dann ging’s an die Grabbelkiste. Dort fanden sich Anker, Davids, ein Steuerrad, die Treppen und andere nützliche Kleinteile.
Bei der Farbgebung orientierte ich mich im Wesentlichen am Deckelbild und an der Bauanleitung. Zum Einsatz kamen Farben von Revell und Humbrol. Die Verschmutzung ist bewusst dezent. Nur das Deck und die Segel wurden besonders behandelt, um diesen Flächen mehr Leben zu verleihen. Diverse Taue auf dem Deck sorgen für weitere Abwechslung.
Einen kleinen Dämpfer erhielt ich dann, als mir das halbfertige Schiff aus der Hand rutschte, um sich auf dem Boden wieder zu zerlegen. Das sind die Momente, in denen man sich wünscht, dass der Wecker klingelt und man zu sich sagt: „Was für ein sch… Traum!“ Nun der Wecker klingelte nicht, aber meine Frau kam rein und fragte: „Und, klappt’s?“ Meine Antwort möchte ich hier nicht wiedergeben… Die Schäden waren dann aber nicht ganz so schlimm, wie es zuerst aussah und relativ zügig repariert.
Hisst die Segel
Die Segel entscheiden viel über das Gelingen eines Segelschiffmodells. Der Bausatz enthielt nur mickrige, gereffte Segel. Ich wollte aber gehisste Segel darstellen. Was also tun? Nach einigen Überlegungen entschied ich mich für Segel aus normalem Papier. Sie wurden ausgeschnitten, eine Weile in Kaffee eingelegt und dann über einer Form getrocknet. Noch ein paar Details mit dem Bleistift aufgebracht und fertig waren die leicht braunen, gewölbten, hauchdünnen Segel.
Die Takelage und die Wanten entstanden wieder aus gezogenen Gussästen. Hier half mir ein Modell Fan Heft aus dem Jahre 1975. Wie gesagt, war das Thema ja Neuland für mich. Fehlte nur noch die Flagge aus bemaltem Papier.
Endspurt
Den Ständer aus dem Bausatz habe ich auf ein Holzbrettchen geklebt und dieses mit einem am PC gestalteten Schild versehen – fertig! Die kleine L’Occident hat mir viel Spaß gemacht. Immer mal wieder begleitet sie mich auf eine Ausstellung.
Jürgen
Stuttgarter Interessengemeinschaft Modellbau
Fotos: Katy Schenk, Sami Radwan, Jürgen Crepin
P.S.: Den Bausatz gibt es zurzeit in einem Set mit Farben zu einem deutlich stolzeren Preis von über 20 €. Na ja, auch mein „Taschengeld“ hat sich zum Glück weiter entwickelt.