Modell: Avenir
Hersteller: Heller
Maßstab: 1/200
Material: Kunststoff, Abziehbilder
Art.Nr.: 80625
Preis: 79,99 €

Das Original: Von eleganter Fähre zum Unglückschiff

Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten noch immer große Teile der nordafrikanischen Küste als Kolonien zu Frankreich. Teile Algeriens wurden sogar zum Teil des französischen Mutterlands erklärt. Dem entsprechend stieg besonders seit den 1960’ern der Bedarf nicht nur an Waren- und Personentransporten, sondern auch an der Möglichkeit, eigenen Fahrzeuge mit über das Mittelmeer zu schippern. Anfang 1965 gab die Compagnie de Navigation Mixte mit Sitz in Marseille bei Forges et Chantiers de la Méditerranée in La Seyne-sur-Mer eine Autofähre in Auftrag. Die Avenir war ihre erste Autofähre und das letzte Schiff, das das Unternehmen bestellt hatte.

Das Schiff war voll klimatisiert und bot Platz für 918 Passagiere (376 in der Passagierklasse, 364 in Sitzen und 178 in Schlafsälen). Es bot Platz für 130 Fahrzeuge, die über eine 2,60 m hohe Heckklappe oder über sechs Seitentüren auf das Schiff gelangen konnten (110 Fahrzeuge in der „Garage“ und 20 Fahrzeuge im Laderaum). Die Passagiere der Kabinenklasse hatten Zugang zu einem Speisesaal mit 200 Sitzplätzen, zwei Lounges, eine davon mit Tanzfläche, einer Lido-Bar mit Swimmingpool, einem Shop und einem Fernsehbildschirm. Die Eröffnungsfahrt der Avenir zu den Balearen und Tunis fand vom 14. bis 17. April 1967 statt. Am 18. April unternahm sie ihre erste kommerzielle Fahrt von Marseille nach Tunis. Die Avenir, die zwischen Frankreich, Algerien und Tunesien verkehrte, traf im Oktober 1975 zum letzten Mal in Marseille ein, wo sie ausgemustert und zum Verkauf angeboten wurde. Das Schiff wurde im Januar 1976 an die italienische Gesellschaft Trans Tirreno Express verkauft, die es unter dem Namen Espresso Corinto zwischen Italien und Griechenland einsetzte. Der Heimathafen war damals Cagliari.

Das Schiff wurde 1981 aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten von TTE stillgelegt und lag fast drei Jahre lang brach, bevor es 1984 von der panamaischen Gesellschaft Marinvest Founds gekauft wurde. Umbenannt in Shahrazad, diente es dem Transport muslimischer Pilger zum Roten Meer; hauptsächlich nach Mekka in Saudi-Arabien. Am 21. September 1985 endete ihre Karriere, als sie in der Nähe des Hafens von Dschidda - dem Tor nach Mekka - sank, nachdem sie durch ein Feuer zerstört worden war.

(frei nach Hellers Bauanleitung)

Der Bausatz

Das Modell der Avenir gehörte seit langem zur Gattung der gesuchten Sammlerbausätzen, für die teils astronomische Preise bezahlt wurden.Tatsächlich neu auf dem Markt erschien das Modell bereits im Jahr 1968. Wiederaufgelegt wurde es 1984, und - passend zu ihrem Untergang - 1986 noch einmal. Seitdem ruhten die Formen tief in den Archiven – oder einer Lagerhalle von Heller.

Umso erfreulicher ist die aktuelle Wiederauflage des stattliche 65 cm langen Schiffes. Ganze 622 Teile gilt es zu verbauen, von denen die meisten kleineren Teile zu den Beibooten und Fenstern gehören. Das Schiff selbst besteht eher aus größeren und gröberen Bauteilen: Typisch für fast alle Heller-Modelle dieser Zeit.

Natürlich entspricht die Avenir in Bezug auf Detaillierung und Materialstärke nicht mehr dem Standard moderner Spritzguss-Bausätzen, was am besten an der beiliegenden, aus Kunststoff gespritzten Reling zu sehen ist und dennoch bietet sie auch heute noch eine gute Ausgangsbasis für ein schönes Zivilschiff.

Rumpf

Der Rumpf ist entlang des Kiels in zwei Hälften geteilt. Diese reichen vom Kiel bis kurz unter die Brücke. Die sechs seitlichen großen Tore zum Parkdeck im Rumpf sind nur leicht angedeutet. Einzig die Heckklappe ist als extra-Bauteil grob vom Rumpf abgesetzt. Auch hieran lässt sich das Alter der Formen erkennen. Eine Wasserlinien-Version ist nicht vorgesehen. Als Standmodell hat das Schiff sicherlich seinen Reiz, vorallem bei der Größe der Avenir bedeutet eine Darstellung mit Wasserfläche eine Menge an Platzbedarf in der Vitrine.

Die Decks werden der Reihe nach bis hin zum Schornstein einzeln ein- und aufgesetzt. Der Einsatz von zahlreichen Klarsichtteilen könnte die Bemalung erschweren. Masken für Luken, Fenster und Türen wären ein gutes Zubehör für den alten Bausatz. Der Modellbauer kann natürlich auch von der Reihenfolge der Bauanleitung abweichen, einzelne Baugruppen inklusive Bemalung fertigstellen und erst vor dem „Verheiraten“ die Fenster einbauen.

Kleinteile

Decksaufbauten, vom Ankerspill, über Kräne, Staukisten, den Beibooten bis hin zum Schiffsradar zeigen alle eine dem Alter des Bausatzes angemessene Detaillierung. Auf ihnen finden sich zahlreiche Auswurfmarker und Sinkstellen. Auch wenn diese oft auf der Rück- oder Unterseite der Bauteile sind müssen sie in der Regel verschliffen werden, um eine genauere Passung zu ermöglichen.

Die Beiboote sind wie auch bei anderen Heller-Bausätzen zweiteilig. Die Trennlinie geht entlang des Kiels und mitten durch die Abdeckung. Ein Klassiker eben! Neu im Bausatz ist eine Ankerkette aus Messing. Die Klarsichtteile sind sehr dickwandig und ebenfalls voller Sinkstellen. Ob Abschleifen und Polieren, oder von vornherein Ersetzen ist dann wiederum eine Entscheidung des jeweiligen Modellbauers.

Die Abziehbilder

Es liegen Abziehbilder für drei Bauzustände bei:

  • Avenir, 1965
  • Espresso Corinto, 1976
  • Shahrazad, 1984

Die Fotoätzteile

... sind im Bausatz nicht enthalten. Ob sich einer der üblichen Ätzteil-Produzenten der Avenir schon angenommen hat ist mir bisher nicht bekannt, allerdings gibt es im Zurüstmarkt zumindest generischer Reling, die anstelle der dicken Plastikteile verbaut werden kann.

Die Anleitung

Absolut neu gestaltet präsentiert sich die 28 seitige Bauanleitung als gebundenes Heft in DinA4. In 54 Bauschritten führt sie zu einer der drei möglichen Varianten. Ob die ursprüngliche, weiße Avenir, die schwarz-weiße Espresso Corinto von 1978, sowie als weiß-grüne Shahrazad, mit der Bemalung sie 1985 unterging.

Schritt für Schritt sind die einzelnen Bemalungshinweise in der hauseigenen Farbreihe von Heller angegeben. Die einzelnen Zeichnungen sind eindeutig gestaltet und lassen keine Fragen offen.

Sonstiges

Das Deckelbild zeigt ein gebautes Modell digital in das Bild einer realen Wasserfläche eingebaut. Auch die vielen Personen an Deck sind per Computer eingefügt. Frei nach „wo ist Waldo“ kann man sich den Spaß machen, zu suchen wie oft einzelne Figuren im Bild vorhanden sind. Vergleicht man das elegante, weiße Schiff auf dem Deckel mit Originalfotos, fällt dort der eher weniger gepflegte Zustand des Schiffes auf.

Fazit

Oldie? Ja! Goldie? ...kann es mit einigen Aufwand werden. Auf alle Fälle eine überraschende, aber ebenso willkommene Neuauflage eines Klassikers. Hellers Firmenpolitik, die alten Formen (zu überarbeiten und) wieder aufzulegen ist mehr als nur begrüßenswert. Aber auch wirkliche Formneuheiten im Bereich Schiffe sollten zukünftig wieder in Hellers den Fokus der Heller-Verantwortlichen geraten. Aufgrund der relativ großen Bauteile, der einfachen Detaillierung und Aufteilung können selbst Unerfahrene ein schönes Modell bauen.

guter Durchschnitt


Wolfgang

Wir danken Heller (Glow2B) für das Bausatzmuster