Modell: H.M.S. Glamorgan
Hersteller: Atlantic Models
Maßstab: 1/350
Material: Resin, Weißmetall, Messingteile, Fotoätzteile, Abziehbilder
Art.Nr.: ATK 35004
Preis: ca. 225 €
Das Original
HMS Glamorgan gehörte zur ersten Klasse britischer Lenkwaffenzerstörer, der County- (Grafschafts-) Klasse. Diese wurden buchstäblich um das Sea Slug-Raketensystem herum konzipiert. Die recht große Rakete benötigte in der Startphase vier Feststoff-Booster, die nach Ausbrennen abgesprengt wurden. Sie musste vom Schiff während des ganzen Fluges mittels eines leistungsfähigen Radars geleitet werden und hatte eine Reichweite von bis zu 32 km. Während der 1950er Jahre wurde lange am Entwurf eines Schiffes gearbeitet, das eine ausreichende Zahl dieser Geschosse auf See bringen und damit die Flotte gegen die wachsende Luftbedrohung schützen konnte. Man versuchte, möglichst viele Raketen auf einem nicht allzu großen Schiff unterzubringen und dabei deren Handhabung und Sicherheit möglichst gut umzusetzen. Verschiedene Magazinanordnungen und Ausrüstungsvarianten wurden erwogen, bis schließlich der Entwurf feststand.
Die Schiffe der County-Klasse hatten ein enormes Magazindeck, in dem 24 Sea Slugs gelagert, gewartet und achteraus dem markanten Doppelstarter zugeführt wurden. Dieses Deck erstreckte sich vom Achterdeck bis nahezu zur Brücke.
Da es nur ein Feuerleitradar vom Typ 901 gab, konnte jeweils nur ein Ziel bekämpft werden. Es war jedoch möglich, zwei Raketen auf dieses Ziel anzusetzen. Für die Nahbereichsabwehr wurden zwei Vierlingsstarter für Sea Cat-Raketen eingebaut. Neben der Raketenbewaffnung führten die Counties zwei 114 mm-Zwillingstürme, zwei 20 mm Oerlikon-Flak und zwei Drillingstorpedosätze zur U-Jagd mit sich. Ein ursprünglich geplanter U-Jagd-Mörser wurde durch einen Hangar für einen Wessex-Hubschrauber ersetzt. Dieser Hangar hatte das Tor aus Platzgründen seitlich und war schwierig zu benutzen. Die Schiffe waren mit ca. 6000 t Verdrängung recht groß geraten und erhielten Quartiere für einen Admiral und seinen Stab. Auf eine Panzerung wurde aus Gewichtsgründen verzichtet. Der Antrieb kombinierte zwei konventionelle Dampfturbinen für die Marschfahrt mit vier Gasturbinen für die Vollast (COSAG). Im Prinzip waren die Counties eher als Kreuzer denn als Zerstörer anzusehen, wurden aber allein schon aus Budgetgründen als Zerstörer bezeichnet.
Insgesamt wurden acht Schiffe in zwei Baulosen gebaut. Die Einheiten des zweiten Bauloses unterschieden sich von denen des ersten optisch durch ein doppeltes Luftraumüberwachungsradar vom Typ 956 AKE-2 sowie einen unterschiedlich gestalteten Vormast. Sie erhielten das Sea Slug Mk. 2-System, das überschallschnell war und eine gesteigerte Reichweite hatte. Die Raketen wurden auf diesen Schiffen teilweise zerlegt gelagert, wodurch die Gesamtkapazität auf 39 Stück erhöht wurde.
Aus verschiedenen Gründen war den Counties keine lange Dienstzeit bei der Royal Navy beschieden. Einerseits wurde das Geld immer knapper, andererseits erfüllte das Sea Slug-System nicht die Erwartungen und war rasch veraltet. Modernere Systeme wie Sea Dart wurden einsatzreif und benötigten erheblich weniger Platz an Bord. Eine Umrüstung auf ein anderes Raketensystem wurde als unwirtschaftlich angesehen. Als Kompromiss wurden die Schiffe des ersten Bauloses bereits in den 1970ern außer Dienst gestellt und die des zweiten Bauloses modernisiert. Der zweite Geschützturm wurde hierbei durch vier Exocet-Startkanister ersetzt; darüber hinaus wurden die Kommunikationseinrichtungen verbessert.
Zwei der Schiffe, Glamorgan und Antrim, nahmen 1982 am Falklandkrieg teil. Glamorgan diente zu Beginn als Flaggschiff von Admiral Woodward, dem Befehlshaber der britischen Seestreitkräfte, bevor dieser auf den Träger Hermes wechselte. Sie wurde daraufhin hauptsächlich zum Beschuss von Landzielen mit ihren zwei verbliebenen Geschützen eingesetzt. Am frühen Morgen des 12. Juni 1982 blieb das Schiff länger als befohlen auf seiner Station zum Landzielbeschuss, um die britischen Truppen im Kampf um den Höhenzug Two Sisters zu unterstützen. Dabei geriet die Glamorgan ins Visier einer argentinischen Raketeneinheit. Diese benutzte aus einem Kriegsschiff ausgebaute Exocet-Container auf einem improvisierten Transporter. Die anfliegende Rakete wurde aufgefasst und sofort ein Ausweichmanöver eingeleitet; durch die harte Drehung des Schiffes traf die Exocet in einem Winkel in Höhe des Hangars auf die Deckskante und drang nicht voll ins Schiff ein. Trotzdem wurde ein großes Loch ins Deck gerissen und der voll betankte und munitionierte Bordhubschrauber des Schiffes zur Explosion gebracht. Durch die Explosion und brennenden Kraftstoff, der sich vom Hangar nach unten ergoss, starben insgesamt vierzehn Besatzungsmitglieder, zahlreiche wurden verletzt. Die Schiffssicherungsmaßnahmen waren erfolgreich und die Glamorgan konnte unter eigener Kraft zur Trägerkampfgruppe zurückkehren. Glamorgan war damit das erste Schiff, das einen Exocet-Angriff überlebte.
Zwei Tage später kapitulierten die Argentinier und der Krieg war beendet. Die Glamorgan wurde vor Ort behelfsmäßig repariert und kehrte nach 104 Tagen auf See im Juli 1982 nach Portsmouth zurück.
Nach umfangreichen Reparaturen und einigen Umrüstungen wurde das Schiff noch bis 1986 von der Royal Navy eingesetzt und dann an Chile abgegeben. Dort diente es als Almirante Latorre bis 1998. Im Jahr 2005 sollte es in Asien abgewrackt werden, sank aber auf der Reise dorthin im Schlepp knapp außerhalb der chilenischen Hoheitsgewässer.
Der Bausatz
Peter Hall ist den Schiffsmodellbauern als der Entwickler der Ätzteilsätze der britischen Firma White Ensign Models bekannt. Er entwickelt jedoch unter seiner Marke Atlantic Models auch eigene Bausätze, von denen die HMS Glamorgan im Bauzustand von 1979 der neuste ist. In dem stablilen Karton befinden sich gut verpackte Teile aus Resin und Weißmetall, zwei Fotoätzplatinen, Messingstäbe für die Schraubenwellen, ein Decalbogen und eine umfassende Bauanleitung. Letztere entspricht dem Standard von WEM und ist sinnvoll gegliedert und nachvollziehbar. Ein Farbprofil mit Verweis auf die hauseigenen Colourcoat-Farben von WEM erleichtert die Bemalung.
Die Resinteile
Der Rumpf ist an der Wasserlinie geteilt und sauber und verzugsfrei gegossen. Mein Exemplar liegt plan auf dem Tisch auf. Passstifte erleichtern das Zusammensetzen, soll ein Vollrumpfmodell entstehen. Es ist beim Zusammensetzen nur sehr wenig Versatz zu erkennen, also sollte das Versäubern einigermaßen leicht fallen. Es sind einige Decksdetails sauber angegossen, aber nicht übermäßig viele. Das erleichtert das Bemalen. Die Decksstrukturen für die Stahl- und Holzdecks sind dezent wiedergegeben. Die Kettenkoker müssen laut Bauanleitung durchgebohrt werden.
Die beiden Aufbauten sind sauber modelliert und gegossen, und passen hervorragend mittels Passstiften auf das Oberdeck. Der Hangar mit einem Teil seines Innenlebens ist sehr schön offen dargestellt.
Die übrigen Resin- und Weißmetallteile liegen in zwei Plastikbeuteln bei. Trotz dieser relativ ungeschützten Verpackung sind alle Teile intakt bei mir angekommen. Hier gibt es einen Unterschied zur Bauanleitung. Einiges an Bauteilen, das laut Bauanleitung aus Weißmetall sein sollte, ist beim fertigen Modell aus Resin.
Peter Hall hat mir mitgeteilt, dass er sich hier umentschieden hat, um Gewichtsproblemen z.B. bei den Booten zu vermeiden. Er hat vorwiegend die Teile in Weißmetall belassen, die in Resin zu leicht brechen würden. Das sind z.B. die Corvus-Düppelwerfer, die Rettungsinselbehälter, die Geschützrohre, Propeller, Wellenböcke und Stabilisatoren. Die Teile sind bei meinem Exemplar gut herausgekommen, benötigen natürlich noch Nacharbeit, aber sollten an wesentlichen Stellen für Stabilität sorgen. Leider sind auch die Geschützrohre aus Weißmetall ausgeführt; hier wären gedrehte Messingrohre deutlich und sichtbar besser. Meine Anregung für künftige Bausätze wäre die Einbeziehung von Drehteilen, die (wie bei anderen Herstellern zu sehen) den Realismus eines Modells sichtbar steigern können.
Fotoätzteile
Die zwei Ätzteilplatinen enthalten 120 verschiedene Bauteile. Eine meiner Platinen ist leicht verbogen, ich gehe aber davon aus, dass das keine Probleme bereiten sollte. Die Relings liegen für die diversen Abschnitte abgelängt vor, es wurde aber auch an Ersatzmaterial zum Verschluß von Lücken gedacht. Einen nicht unerheblichen Anteil an den Ätzteilen nehmen die beiden komplexesten Baugruppen ein, der Sea Slug-Starter mit seiner Fachwerkkonstruktion und das mächtige Typ 956-Radar. Die Montage beider Baugruppen ist in der Bauanleitung sehr gut nachvollziehbar beschrieben. Der Ätzteilsatz umfasst zudem Netze für das Flugdeck, sechs Sätze Bootsdavits, zahlreiche filigrane Rahen mit ihren Antennenkonstruktionen, Lüftungsgitter, Teile für den Hubschrauber und Sea Cat-Raketen. Auf eine Sea Slug wurde verzichtet.
Der größte Teil davon dürfte sehr gut zu nutzen sein, es gibt aber immer wieder auch Teile, die besonders im größeren Maßstab als Ätzteile zu flach und körperlos wirken. Das gilt sicherlich für die 20 mm Oerlikon und vielleicht auch für die Sea Cat-Raketen. Jeder Erbauer wird für sich entscheiden, wie viel von dem Bausatz 1:1 umgesetzt werden soll. Die Bilder von Peter Halls selbstgebautem Modell sehen jedenfalls sehr überzeugend aus. Der Ätzteilbogen enthält Namenstafeln und Schornsteinwappen für alle acht Schiffe der Klasse.
Direkt baubar ist aus diesem Bausatz jedoch nur Glamorgan zwischen 1979 und 1982; bei den Reparaturen nach dem Exocet-Treffer wurden weitere Umbauten vorgenommen, wie der Verzicht auf die Sea Cat-Starter samt Leitgeräten und ihr Ersatz durch 40 mm-Boforskanonen sowie der Austausch der Corvus-Düppelwerfer durch REBOC´s. Hier ist Eigeninitiative gefragt.
Die übrigen drei Schiffe des zweiten Bauloses lassen sich ebenfalls darstellen; hier muss recherchiert werden, wie genau der Umbau durchgeführt wurde, weil sich z.B. die Positionen der Boote und ihre Anzahl unterschieden. Auch hatte nur Glamorgan die Drillings-Torpedorohrsätze. Ein Rückdatieren eines Schiffes des zweiten Bauloses vor die Überholung würde den Ersatz der Exocets durch einen zweiten Geschützturm und das Hinzufügen von Schiffsbooten erfordern. Diese Teile sind auf Wunsch bei Peter Hall erhältlich.
Von den Schiffen des ersten Bauloses ist ohne größere Umbauten nur das zweite Paar (HMS Kent und London) baubar; die ersten beiden Einheiten unterschieden sich mittschiffs an den Aufbauten deutlich von ihnen.
Abziehbilder
Der Decalbogen umfasst praktisch alle Markierungen, die für den Bau erforderlich sind. Neben Tiefgangsmarkierungen sind Hubschrauberdecksmarkierungen, Flaggen und Kennungen für alle Schiffe der Klasse enthalten. Das umfasst Rumpfnummern, Flugdeckskennungen und den Schiffsnamen für die Rumpfseiten. Auch für alle eingesetzten Wessex-Helikopter liegen Kennungen bei.
Anleitung
Das Farbprofil in der Bauanleitung gibt die Farbe für die Stahldecks bis auf das Hubschrauberdeck als Grün wieder. Die Farbe Deck Green wurde zwar 1978 bei der Royal Navy abgeschafft, die Counties wurden bei ihren Überholungen jedoch noch in dieser Farbe gestrichen und behielten sie bis zu den Falklands, um Altbestände an Farbe aufzubrauchen. Bei den Reparaturen nach dem Exocet-Treffer wurden die Decks dann in dem damals benutzten helleren Grau gestrichen.
Quellen
- Norman Friedman: British Destroyers & Frigates. London 2006. S. 179 ff.
- David K. Brown und George Moore: Rebuilding the Royal Navy. Barnsley 2012. S. 35 ff.
- http://countyclassdestroyers.co.uk/ Nützliche Website über alle Schiffe der Klasse mit zahlreichen Fotos.
- http://www.hmsglamorgan.co.uk/ Lesenswerte Website der Glamorgan-Veteranen.
Fazit
Peter Hall hat einen ebenso umfassenden wie sauberen Bausatz in seinem bekannten und bewährten Stil vorgestellt. Für die populärste Variante liegt alles Erforderliche bei. Der Bausatz ist eher nichts für Neulinge; Erfahrung im Umgang mit Resin- und Fotoätzteilen ist sicherlich erforderlich. Für etwas erfahrenere Modellbauer sollten auch Umbauten im Bereich des Machbaren liegen. Die Einbeziehung von Drehteilen sollte für die Zukunft überlegt werden. Der Preis ist hoch, aber dem Aufwand und der geringen Auflage angemessen.
Für an der Royal Navy des Kalten Krieges interessierte Modellbauer
sehr empfehlenswert
Frank Spahr