Das Original

Das Linienschiff Zessarewitsch (Цесаревич, auch Tsesarevich transkribiert) wurde - wie auch andere größere russische  Einheiten der Jahrhundertwende - von 1899 bis 1903 im Auftrag des Russischen Zarenreiches auf der Werft La Seyne-sur-mer in Frankreich gebaut. In Russland gab es damals noch nicht die entsprechenden Werften, und so gaben die Russen den Bau in Auftrag, gegen die Zusicherung der Option, das Schiff als Vorbild für fünf weitere Linienschiffe verwenden zu dürfen (die spätere Borodino-Klasse).


Direkt nach der Fertigstellung 1903 wurde das Linienschiff an die russische Pazifikküste verlegt und geriet so in die erste Seeschlacht im Gelben Meer gegen den Kriegsgegner Japan am 10. August 1904. Die japanische Überlegenheit zeigte sich bereits an diesem Tag: Nach dem Tod des russischen Admirals Witthöft bzw. des Schiffskommandanten entkamen die großen Einheiten nur mit Mühe und wegen der einsetzenden Dunkelheit in den Hafen von Port Arthur. Die schwer beschädigte Zessarewitsch floh in die damals deutsche Kolonie Tsingtao, wo sie für die Dauer des Krieges interniert wurde. Nach Kriegsende 1905 kehrte die notdürftig reparierte Zessarewitsch zurück in die Ostsee und bildetet zusammen mit dem Linienschiff Slawa das Rückgrat der Baltischen Flotte Russlands.

Nach dem Sieg der bolschewistischen Truppen im Russischen Bürgerkrieg wurde die Zessarewitsch in Graschdanin umbenannt. 1918 wurde sie schlussendlich zur Wohnhulk abgerüstet und 1924 in Deutschland abgewrackt.


Das Schiff erwies sich von Anfang an als Fehlinvestition. Es war toplastig, insbesondere durch die hohe Aufstellung der Mittelartillerie in Türmen auf dem Oberdeck statt im Batteriedeck in Kasematten. Eigentlich hatte das als fortschrittlich gegolten, da die Mittelartillerie nun bei jedem Seegang eingesetzt werden konnte, aber der Nachteil durch den zu hohen Schwerpunkt überwog eindeutig. Hinzu kam die Verwendung eines Längsschottes über fast die gesamte Länge des Schiffes, was die Neigung zum Kentern bei einseitigen Treffern unterhalb der Wasserlinie erhöhte. Fast alle russischen Linienschiffe der Borodino-Klasse in der desaströsen Schlacht von Tsushima kenterten, bevor sie sanken.

Das Schiff war insgesamt zu schwer, die maximale Verdrängung von 13.000 Tonnen wurde deutlich überschritten, was den Seitenpanzer unter die Wasserlinie drückte - mal ganz abgesehen von der Steuerungsfähigkeit. Wie auch andere russische Schiffe war die Zessarewitsch schlecht bewohnbar, da auf Luftzirkulation bzw Belüftung keinen gesteigerten Wert gelegt wurde.

Das Modell

Den Trumpeter-Bausatz der Zessarewitsch gibt es im Bauszustand 1904 oder 1917 (siehe Besprechung der 1917-Version). Bei letzterem Bausatz liegt eine zusätzliche Gussform bei mit den entsprechenden Änderungen. Mein Bausatz war der von 1904, an den 1917er Satz  mache ich mich dann im Winter.

Ich habe das Modell (trotz starker Bedenken) im Stile der berühmten Sammlung im Maßstab 1/42  im Marinemuseum St.Petersburg gebaut, also mit schwarzem Rumpf, ockerfarbenen Decksaufbauten/Schornsteinen und zum großen Teil verchromten bzw. hochglanzpolierten Beschlagteilen. Auch blanke Messingoberflächen bekommt man auf diesen Modellen reichlich zu sehen. Es handelt sich um reine Schaumodelle, die wenig mit dem tatsächlichen Aussehen der Schiffe zu tun haben, dafür aber recht hübsch anzuschauen sind. Die Zessarewitsch ist nicht vertreten in St. Petersburg, wohl aber der Lizenznachbau Borodino. Das Modell von 1917 wird dann aber wieder grau sein mit Alterungsspuren, keine Sorge.

Der Bausatz von Trumpeter ist eine wunderschöne Darstellung eines - seien wir ehrlich - doch eher hässlichen Exemplars französischer Schiffsbauästhetik des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der kurze dicke Rumpf im Tumblehome-Design, Rammsporn im Bug, die halbschwere Artillerie zwischen den turmhohen Aufbauten, darüber die beiden Fabrikschlote zwischen den abenteuerlich wirkenden waffenstarrenden Gefechtstürmen, haufenweise kleine und kleinste Geschütze auf den diversen Decks - viele Fehlentwicklungen dieser Jahre wurden niemals weiterverfolgt und wirken auf heutige Betrachter plump und anachronistisch.

Wie von Trumpeter gewohnt, passen alle Teile mit absoluter Präzision aufeinander. Tun sie es nicht, hat man garantiert etwas falsch gemacht (durchaus tricky ist der Einbau des Schotts auf dem hinteren Deck, da ist die Abbildung in der ansonsten hervorragenden Bauanleitung etwas missverständlich). Neu ist die Qualität der Fotoätzteile: die bisherigen ein wenig groben Trumpeter-Ätzteile gibt es dieses Mal nicht; die Teile in diesem Bausatz spielen mit den AddOns von Eduard&Co in einer Liga. Besonders die winzigen Feuerlöschschlauchständer und die Winden auf dem Oberdeck beeindrucken durch ihre filigrane Ausführung. Gelungen: die Kombi aus Plastik-und Fotoätzteilen. Die Treppen sind etwas schwierig zu biegen, was für Ausfälle sorgen kann. Also sehr vorsichtig damit! Ebenso haben die zahllosen Anti-Torpedoboot-Geschütze jeweils eine geätzte Splitterschutzplatte, was vielleicht ein wenig seltsam aussieht, da die Geschütze aus Plastik selber nicht diese filigrane Detailliertheit erreichen. Jedenfalls sind die Ätzteile ein Traum - viele davon und sehr detailliert.


Sehr schön auch - trotz gegenteiliger Ansicht in einem anderen Baubericht in diesem Forum - finde ich die geätzten Relings/Geländer. Die Geländer weisen Ausbuchtungen auf für die auf den Oberdecks aufgestellten leichten Geschütze sowie an den Ecken Verlängerungen für zusätzliche Sturmleinen. Nicht ganz einfach zu biegen, ich würde immer stückweise vorgehen und nicht versuchen, ein ganzes Geländer auf einmal zu fixieren.

Zusammen mit den detaillierten Plastik-Decksaufbauten (es sind beispielsweise Fensterrahmen und-Bänke sehr exakt dargestellt) ergibt sich ein wunderbares Erscheinungsbild spätviktorianischen Technikdesigns im Maßstab 1/350.

Die Bordwände sind überaus detailreich ausgearbeitet. Panzerplatten, Nieten, Regenabweiser über den Bullaugen, Torpedoluken in den Breitseiten, sogar an Speigatten wurde gedacht, die doch sonst immer fehlen. Nur warum die Bullaugen in den viereckigen Rahmen in der oberen Reihe sich nach aussen wölben sollen, erschließt sich mir nicht. Ich konnte das auf keinem der Originalbilder erkennen. Die kleinen Warpanker hinten am Schiff sehen unecht aus bzw. so wie man in den 70er Jahren Anker gegossen hat. Aber auf Originalfotos sind sie ebenfalls so grob, also habe ich sie zähneknirschend angebaut. Die Beiboote sehen wie immer zu klobig aus - welche Jolle hat 30 cm dicke Bordwände - der Eindruck verbessert sich, wenn man die zu dicken Ruderbänke ausfräst und die Bordwände der Boote dünn schleift. Die Ruderbänke ersetze ich dann durch Stege der Ätzplatinen. Schließlich noch die Riemen oben drauf - sieht besser aus jetzt.


Vier Geschütze 47-mm-Schnellfeuergeschütze der Firma Hotchkiss auf engstem Raum vor der Fensterfront der Brücke erscheinen mir doch ein wenig übertrieben. Auf alten Fotos habe ich immer nur zwei davon gesehen. Was einleuchtet, weil der Kapitän ja auch sehen muss wohin die Reise geht. Also habe ich zwei Geschütze ersatzlos gestrichen. Ein erster Schritt zur Abrüstung.

Die Takelage gestaltet sich relativ einfach, da ja auch die Petersburger Modelle nur rudimentär getakelt sind. Keine Flaggleinen, keine Fußpferde an den Rahen, keine fliegenden Pardunen, Toppnanten nur als einfache Leinen - nur das nötigste wird gezeigt. Quasi wie Urlaub.

Es kam die übliche Kombination aus Infini-Kupferstangen 0,0165mm (durchhängende Taue) und Angelschnur 0,08 mm zur Anwendung. Die Flaggstöcke der beiden Gefechtsmasten habe ich gegen 0,8 mm Schweißdraht ausgetauscht, da sich die Originalstengen beim kleinsten Zug durchbiegen.

Zum Einsatz kamen außerdem:

  1. ein Holzdeck aus China, welches zwar überall hervorragend passte (immer wieder erstaunlich wie ich finde), das aber in der Länge 2 mm (!!) zu kurz war. Vielleicht habe ich irgendwo einen Fehler gemacht, vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls musste ich das Deck kurz hinterm Kommandoturm quer durchschneiden. Die zwei Millimeter fehlenden Decks (ein Streifen von back- nach Steuerbord) sieht mal allerdings zum Glück nicht, weil dort die hohen Aufbauten bzw. die über dem Oberdeck dicht an dicht aufgebauten Rettungsboote eine Sicht unmöglich machen.
  2. Riemen für die russische Marine 1/350 aus Kasachstan (Sendung nach 10 Tagen!)
  3. Gedrehte Geschützrohre aus Polen für die Zessarewitsch für sehr kleines Geld. Nicht zwingend notwendig, aber so brauchte ich wenigstens die 20,3-cm-Geschützrohre der schweren Artillerie nicht mit Chromspray behandeln. Bei der Mittelartillerie gibt es Qualitätsunterschiede. Der eine Anbieter hält sich an die russische Form der überlangen 15,2-cm-Rohre, der andere nicht.
  4. Eduard-Türen und Beiboot-Ruder für den Bausatz der Schleswig Holstein. Der Zessarewitsch-Bausatz hat keine separaten fotogeätzten Türen, die Beiboote keine Ruder. Was durchaus schade ist
  5. fotogeätzte Bullaugen 1/350 aus Singapur.
  6. Eine Holzplatte und zwei Modellschiffsockel von der Modellbauausstellung in Lingen

Eine Schwäche des Bausatzes dann doch noch  zum Abschluss: die Bug-bzw. Heckornamente der Zessarewitsch müssten unbedingt durch Ätzteile dargestellt werden. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass sich chinesische Bausätze mit der Darstellung von Wappen und Flaggen schwer tun. Jedenfalls sind die beiden russischen Doppeladler an der Bugspitze bzw. am Heck des Schiffes dargestellt durch lächerliche Abziehbilder, die die Anmutung von Farbklecksen haben. Also weglassen oder selber machen.


Das Ornament am Heck habe ich selber aus ameisenfühlerspitzengroßen Ätzteilen aus der Wühlkiste nachgebaut (NIEMALS NICHTS WEGWERFEN!!) für das noch kleinere Bugwappen ist mir noch nichts rechtes eingefallen. Das ist schade, weil doch Bug-und Heckzier absolute Hingucker sind bei Schiffen um die Jahrhundertwende.

Die Geschützpfortendeckel der 75-mm-Breitseitgeschütze im unteren Batteriedeck hat Trumpeter merkwürdigerweise komplett weggelassen. Hier lässt sich aber schnell Ersatz herstellen indem man die Deckel aus fotogeätzten Platinenstegen passend zurechtschneidet. Auch im Original handelt es sich um rechteckige Metallplatten ohne Details von aussen. Wie auch bei dem Petersburger Modell habe ich diese Geschütze in geschlossenem Zustand gezeigt (also Deckel hoch, Geschütz fällt weg). Will man die Geschütze zeigen, muss der Deckel unten liegen, mit der Klappvorrichtung an der Innenseite.

Und noch ein Tipp: Wenn man die Schornsteine um 90 Grad gedreht einbaut, dann lassen sich die Nähte zwischen den beiden Hälften sehr gut durch die geätzten Leitern links und rechts, die über die gesamte Länge des Schornsteins gehen, verdecken.

Fazit

Das Modell hat mir sehr viel Spaß gemacht, es lohnt sich in jeder Hinsicht. Noch einmal würde ich es aber nicht im Stil der St.Petersburg-Sammlung bauen: vieles was im Maßstab 1/42 großartig aussieht wirkt nicht in 1/350. Jedenfalls freue ich mich schon auf die zweite Zessarewitsch (in grau mit viel Rost) von 1917.

Andreas Frücht