"The Victory towed into Gibraltar" oder „Splice the Mainbrace!“

(Die Victory wird nach Gibraltar geschleppt, Spleiss die Großbrass`!)

Eigentlich wollte ich nie ein Dreidecker-Linienschiff bauen, jetzt sind es gleich drei nacheinander oder zum Teil parallel geworden. Die Idee zum Nachbau eines Gemäldes habe ich mir von den Panzerbauern mit ihren 3-D-Fotorekonstruktionen abgeguckt. Die letzte Inspiration kam auf der EME 2019 in Lingen, wo zwei geniale Modelle der zerschossenen Hood und der ebenso demolierten Bismarck ausgestellt waren (siehe Fotogalerie). Absolute Meisterschaft, die nicht abschreckt, sondern anspornt. Auf der EME fand ich dann auch einen Bausatz, mit dem ich diese Idee verwirklichen konnte. Später kam aus dem Internet noch ein weiterer hinzu. Grundlage für das hier vorgestellte Diorama ist Clarkson Stanfields Ölgemälde „The Victory Towed into Gibraltar“ von 1853.

Die Geschichte

Die Schlacht von Trafalgar am 21. Oktober 1805 wird den meisten ein Begriff sein. Diese Seeschlacht gehört zu den bekanntesten militärischen Auseinandersetzungen auf hoher See. Der Ausgang der Schlacht markiert in beeindruckender Weise die Überlegenheit der britischen Marine gegenüber jeder anderen zeitgenössischen Seemacht.

Trotz einer franco-spanischen Übermacht, die vereinigte Flotte hatte sechs Schiffe und rund fünfhundert Kanonen mehr, siegte die britische Flotte aufgrund der von Nelson angewendeten Taktik. Die Briten hatten zwar über 400 Tote zu beklagen, unter diesen ihren wohl größten Seehelden Horatio Nelson, erbeuteten oder zerstörten aber 17 Schiffe, die Franzosen und Spanier verloren die zehnfache Zahl an Männern.

Die napoleonische Seemacht und damit die Gefahr eines von dem kleinen Korsen geplanten unmittelbaren Angriffs auf Großbritannien war somit ausgeschaltet.

Nach der Schlacht wurden die Flottenreste beider Parteien von einem mehrtägigen Sturm gebeutelt, weitere Schiffe gingen verloren, unter anderen der spanische Vierdecker Santissima Trinidad mit nochmal 150 Verwundeten.

Am 28. Oktober lief die Victory unter „Schlepperhilfe“ im Stützpunkt Gibraltar in der Bucht von Algeciras ein. Der Leichnam Nelsons wurde bis zur Bestattung in London in einem Rumfass aufbewahrt, um ihn vor Verwesung zu schützen.

Das Gemälde von Clarkson Frederick Stanfield

Die Entstehungszeit des Gemäldes wird mit 1852/53 angegeben. Das Bild wurde zuerst in der Royal Academy ausgestellt. Es gibt mehrere Variationen dieses Sujets, unter anderem sehr ähnliche Studien als Aquarelle wie das unten gezeigte. Unklar ist dabei, ob Stanfield sie als Vorabstudien gemalt hat oder ob die Herstellung einen pekuniären Hintergrund hatte.

Stanfield gilt als einer der besten englischen Marine- und Landschaftsmaler. Ursprünglich Theater- und Bühnenmaler wandte er sich bald den Seestücken und der Landschaftsmalerei zu. Er war selbst sechs Jahre lang Marineangehöriger, nach einem Sturz schied er aus der Royal Navy aus. Stanfield starb 1867. Sein Sohn aus zweiter Ehe, George Clarkson Stanfield, wurde ebenfalls ein berühmter Maler. In Deutschland sind dessen Mosel-Sujets eher bekannt als seine Seestücke.

Das Bild zeigt als Hauptthema die stark zerstörte Victory mit ihrem Notrigg im Bildmittelgrund. Dem Schiff wurde bereits zu Beginn der Schlacht der Kreuzmast weggeschossen, im weiteren Verlauf folgten die Fockmarsstenge, die Großstenge und damit etliche Rahen. Die Untermasten waren so zersplittert, dass man sie mit Reservespieren oder Rahen schienen musste. Am Rumpf sind dagegen vergleichsweise wenig Schäden zu sehen, laut dem unten genannten Bericht aber war das ganze Galion weggeschossen, Schanzkleid und Finknetzkästen bis auf den Wassergang zerstört, der Rumpf von Einschusslöchern übersät…

HMS Victory wird nach Gibraltar geschleppt

Aquarell (Quelle: Wikimedia Commons) - Ölgemälde in der Online-Kollektion des Victoria and Albert Museum hier

Rechts der Victory fährt die von achtern zu sehende HMS Neptune, beide Schiffe durch eine Schlepptrosse verbunden. Den Hintergrund bildet neben dramatischen Wolkengebilden der „Affenfelsen“ von Gibraltar. Auf der Reede vor dem Felsen sind weitere Kriegsschiffe zu sehen. Im Vordergrund befindet sich eine Flottille kleinerer Boote, auf zweien sind deutlich britische Marinesoldaten zu erkennen – also Marineboote mit einer unbekannten Aufgabe. Zwei weitere Boote sind besegelt, von der Form der Rümpfe und der Takelage her scheinen es einheimische, vielleicht sogar nordafrikanische Fischer oder Händler zu sein. Im Wasser treiben neben einer (Fahrwasser-) Tonne weitere Wrackteile. Ob Stanfield mit diesen Wrackteilen auf die Schlacht anspielt, ist mir unklar. Diese ist sechs oder sieben Tage her und fand in etwa 60 Seemeilen Entfernung statt. Ob Wrackteile in dieser Zeit soweit treiben können, bezweifle ich.

Im Gegensatz zur Victory sind auf der Neptune kaum Zerstörungen dargestellt – allerdings ist sie auch ein gutes Stück weiter entfernt. Dennoch geht aus Berichten hervor, dass zumindest ihre Takelage stark zerstört war (...„cut to pieces“…). Aber sie war seetüchtig genug, um die nahezu gleich große Victory in den sicheren Hafen zu schleppen. Sicherlich hat sich Stanfield einige künstlerische Freiheiten gegönnt, für den Modellbauer ist dies von großem Vorteil, befindet er sich doch in guter Tradition und kann ganz ähnlich verfahren...

Die Recherche

Die Recherche begann mit dem Stanfield-Gemälde und seinen Variationen. Auch andere Maler stellten das Thema dar (z.B. Francis Smitheman), von einigen Stahldrucken konnte ich keinen Urheber finden. Natürlich spielt die Victory immer die Hauptrolle, die Neptune ist immer im Hintergrund abgebildet (z.B. Thomas Buttersworth, noch in der Schlacht). Einige Bilder zeigen u.a. auch die „Schwesterschiffe“ der Neptune, Temeraire und Dreadnought. Als moderner Maler ist hier Geoff Hunt zu erwähnen, der wie wir Modellbauer umfangreiche Recherchen zu seinen Bildern betreibt, also durchaus als Sekundärquelle genutzt werden kann. Von ihm gibt es einige Bilder zum Thema Royal Navy im 19. Jahrhundert.

Ein wichtiger Fund war der Bericht der Kadetten Rivers und R.F. Roberts, die detailliert die Zerstörungen auf der Victory und die eingeleiteten Notmaßnahmen erläutern.

Die Schiffe

Während die Victory bereits ein altes Schiff mit zwar erheblichen Modernisierungen war, ist die Neptune zum Zeitpunkt der Schlacht gerade mal acht Jahre alt. Vergleicht man beide Schiffe, fallen bei flüchtiger Betrachtung zunächst nur Gemeinsamkeiten auf. Sicherlich waren viele Dinge, insbesondere die Takelage, mehr oder weniger standardisiert. Dennoch gab es einige Unterschiede. Bei der Suche nach Maßen für die Schiffe traf ich besonders bei der Neptune auf unterschiedliche Angaben. Hier muss man sich wohl mit den Werftangaben von 1797 zufrieden geben, die Victory hingegen ist sicher neu vermessen worden.

Aufgrund ihrer Bewaffnung gehörten die Schiffe verschiedenen Rängen an. Die Victory mit ihren 104 Geschützen war ein „1st Rater“, die HMS Neptune mit nur sechs Rohren weniger ein Linienschiff zweiten Ranges.

HMS Victory

Bereits 1765 gebaut, ist die Victory immer noch das älteste in Dienst stehende Kriegsschiff. Den Entwurf zeichnete Sir Thomas Slade, der bereits andere erfolgreiche Schiffe konstruiert hatte. Bis zur endgültigen Indienststellung hat es einige Jahre gedauert, ihr erstes Gefecht war die Schlacht von Ouessant 1778. Es folgte eine wechselvolle Geschichte, die andernorts detailreich beschrieben wird. Interessant dabei ist, dass ihr Aussehen durch die „Refits“ erheblich verändert wurde, beim letzten wurde die Victory stilmäßig dem Zeitgeschmack und den Marinebedürfnissen um 1800 angepasst.

Bei einer Länge im Kiel von rund 43 Metern trug sie 104 Kanonen, hatte eine Segelfläche von etwa 5500 Quadratmetern und verdrängte so 3500 Tons.

HMS Neptune

Die Neptune lief 1797 vom Stapel. Mit 98 Kanonen auf drei Decks wird sie wie ihre „Schwesterschiffe“ Dreadnought und Temeraire als Linienschiff zweiten Ranges eingestuft. Die wesentlichen Unterschiede zur Victory sind natürlich die Galionsfigur als auffälligstes Merkmal, die Gestaltung der Seitenansicht mit etwas höherer Back, nur einer schmalen Außentreppe ohne Pforte im Batteriedeck und daneben ein Bootsfender. Die Seitentaschen am Heck sind stärker geneigt als bei der Victory und gehen auf Höhe der Poop in eine oben offene Achtergalerie über. Manche Darstellung der Neptune zeigt auch zwei offene Galerien. Bei der Victory hingegen ist der komplette Heckspiegel mit geschlossenen Fensterreihen gebaut.

Die Unterschiede in der Takelage waren wahrscheinlich eher marginal, zum gewählten Zeitpunkt für das Diorama nach der Schlacht insofern allerdings erheblich, da die Takelage bei beiden Schiffen stark zerstört und dann mit Bordmitteln wieder ergänzt worden war.

Am Ende der Schlacht war die Neptune eines der wenigen manövrierfähigen Schiffe, sie nahm die weitaus stärker zerstörte Victory an die Leine und schleppte sie nach Gibraltar.

Die Maße der Neptune unterscheiden sich nur wenig von denen der Victory. Insgesamt ist der Vergleich der Maße schwierig, da häufig unterschiedliche Bezugspunkte angegeben werden (Länge zwischen den Loten, Länge über Alles, Länge Kiel, Länge im Gundeck etc.). Am Ende lagen die wesentlichen Unterschiede in Bereichen um einen bis drei Meter.

Der Bausatz

Der verwendete Basisbausatz von Revell (siehe Bausatzbesprechung) scheint mir recht selten zu sein. Am Karton selbst war keine Nummer angegeben, auf den Bauplanseiten findet sich die wiederkehrende Nummer 5423 (-0389). Auf dem Kartondeckel ist neben dem REVELL-Logo das Zeichen des französischen Spielzeugkonzerns CEJI aufgedruckt. Aktuell ist der Bausatz nicht zu finden, eigentlich schade, denn man kann einiges daraus machen… Möglicherweise gibt es den Bausatz von einem anderen Hersteller.

Wie so oft sind die Maßstabsangaben besonders bei Segelschiffbausätzen ein echtes Kuriosum. In diesem Fall besonders interessant, da bereits auf dem Karton zwei (!) unterschiedliche Angaben stehen. Auf der Oberseite ist das Verkleinerungsverhältnis mit 1/225 angegeben, an der Seite des Kartons steht der Maßstab 1/130. Beide sind falsch, ist aber auch nicht weiter schlimm. Ein Vergleich mit den Daten der Original-Victory (Kiellänge 42,8 m) und der Kiellänge des Modells mit rund 15 cm ergibt einen tatsächlichen Maßstab von 1:288. Macht auch mehr Sinn als die schrägen „Box scales“. Als einzeln stehendes Modell ist der Maßstab eigentlich auch egal, bei meinem Vorhaben jedoch insofern wichtig, als ich die Szene mit passenden Figuren beleben wollte.

Ein etwas detaillierterer Bericht zu diesem seltenen Revell-Bausatz erschien bereits auf dieser Seite.

Die „Zerstörung“ der Victory und der Bau des Modells

Für das Diorama begann ich mit dem Bau – besser der „Zerstörung“ - des Victory-Rumpfes. Bereits auf der EME in Lingen, wenige Minuten nach dem Kauf des Bausatzes, fing ich an, Löcher in den Rumpf zu bohren, ganze Segmente des Schanzkleides auszubrechen, Sinkstellen zu verspachteln und Stückpfortenöffnungen auszufeilen. Auch die geschlossenen Öffnungen zwischen den Galionsregeln feilte ich heraus.

Zu Hause, als alle Ressourcen zur Verfügung standen, baute ich von innen Spanten aus Styrolprofilen ein und klebte außen kleine Streifen als Flickstellen auf. Teils wurden die Spanten auch wieder durchbohrt, um so durchschossene Spanten darzustellen. Große Einschusslöcher und aufgefeilte Stückpforten wurden teilweise wieder geschlossen, Pfortendeckel aus Styrolprofilen geschnitten und als geöffnete Pforten wieder eingebaut.

Mit großem Widerwillen reduzierte ich nun auch das zuvor mühsam aufgefeilte Galion auf ein paar klägliche Rudimente… Der Bug der Victory war zu Beginn der Schlacht fast eine Viertelstunde dem Beschuss der Franzosen ausgesetzt, ohne dass das Schiff nennenswert Feuer erwidern konnte, es ist einleuchtend, dass vom Galion nicht viel übrig blieb. Auch das Schanzkleid wurde an vielen Stellen bis auf den Wassergang abgebrochen und teilweise mit Styrolprofilen als Spantstümpfen wieder aufgebaut.

Anschließend wurde die erste Grundfarbe aufgebracht, ein helles Beige, gefolgt von Gelb für die Pfortenstreifen und Schwarz für den Rest (ich nutzte ausschließlich REVELL-AQUA-Farben). Dabei hatte ich die Ergebnisse der Restauratoren der Victory im Sinn – dieser Ockerton, der je nach Licht plüschig-rosa erscheint. Möglicherweise hat die „Trafalgarfarbschicht“ auf der Victory jetzt diesen Farbton, damals sah er sicher anders aus. Ich frage mich, ob die Restauratoren alle auf eine Farbschicht einwirkenden Parameter bei ihrer Rekonstrukion berücksichtigt haben, auch die Reaktion der „Nelsonfarbe“ mit dem Untergrund und der nachfolgenden Farbschicht.

Erst nach Fertigstellung des Rumpfes erfolgte ein dünnes Washing, um Pulver- und Schmauchspuren des Kampfes darzustellen.

Über die Bemalung von Plastikschiffsdecks wird viel und gern diskutiert. Da will ich nicht zurückstehen und auch meinen Senf dazugeben. Im Netz gibt es etliche tolle „aerial views“, Luftaufnahmen, der Victory und man staunt, wie ihr Deck auf diese Distanz – im übrigen auch aus größerer Nähe – wirkt. Ein schlichtes, helles Grau ohne jegliche Struktur oder Fleckung ist da zu sehen. Mit viel gutem Willen kann man noch ein fahles Beige hineindichten… Für die Dioramasituation kommt dieses „ship shape“ Deck ohnehin nicht in Frage, die Crew hatte sicher andere Probleme als ein piccobello geschrubbtes Deck. So erfolgte ein Anstrich des Decks in hellgrau, mit folgendem Washing in schwarz, ocker und rot. Ja, ein bisschen Blut muss sein…

Der massiv gegossene Glockenstuhl verschwand ganz vom Deck, auch er ist bereits zu Beginn der Schlacht völlig zerstört worden. An seiner Stelle liegt jetzt eine Persenning. Die hübschen Taubunschen auf dem Deck bemalte ich fahlbeige, allein um einen geringen Kontrast zu erzeugen.

Vor der „Hochzeit“ - dem Zusammenbau des Decks mit dem Rumpf – bohrte ich an den Nagelbänken kleine Löcher ins Deck, um bereits jetzt einen Teil der Takelage zu belegen. Es sind für das Notrigg zwar nur wenige Taue da, aber dennoch schien es mir einfacher, sie jetzt mit einem Stopperknoten und einem Tropfen Leim unter dem Deck zu befestigen und später zu den entsprechenden Punkten in der Takelage zu führen, als wenn Masten und Wanten im Wege sind. Zudem die winzigen Nagelbänke ohnehin nicht zum Belegen taugen. Sicherlich störten diese Dutzende von Bändsel beim weiteren Bau manchmal, zum Ende war ich aber froh um diese Idee. Mit weiteren selbst gefertigten Taubunschen und Matrosenfiguren zugedeckt, sind die Löcher nicht mehr sichtbar.

Nach dem etwas fummeligen Zusammenbau der Decksteile mit den beiden Rumpfhälften bemalte ich den ebenfalls „zerschossenen“ Heckspiegel und baute die zuvor verspachtelten Rüstbretter an. Im Bausatz waren keine Püttingseisen vorgesehen, so baute ich sie aus kleinen Drahtstückchen unter die Rüsten. Jetzt kommt eine weitere Baustelle ins Spiel…

Da die Bausatzwanten in keiner Weise dem Original ähneln, musste Ersatz her. Der Zubehörmarkt konnte nichts Adäquates liefern, also hieß es selbst machen. Nach der von Caffery und anderen publizierten Methode baute ich einen einfachen Rahmen aus zwei 10-mm-Gewindestäben mit einer Länge von etwa 12 cm und zwei passend gebohrten Holzleisten.

Auf die Gewindestäbe wird nun in jeden Gang ein reißfester, dünner und schwarzer Zwirn gewickelt und möglichst stramm gezogen. Dies sind die späteren Webeleinen. Die Want- oder Hoofdtaue stellte ich aus 0,2-mm-Stahldraht her: Die Wantlänge mit etwas Zugabe (Länge des Hoofdtaues und unten die Breite der Rüsten) wird an den entsprechend farblich markierten Webeleinen oben und unten zunächst mit Sekundenkleber fixiert und ausgerichtet. Sind so auf beiden Seiten des Wantenrahmens die Hoofdtaue aufgebracht, werden sie mit sehr dünnflüssigem, stark verdünntem acetonlöslichen Kleber (Korest Archöcoll 2000) auf den Webeleinen festgeklebt. Die angloamerikanischen Kollegen benutzen organische Naturleime (Hautleim oder Fischblasenleim), ein Versuch damit endete nicht befriedigend. Dringend ist bei Arbeiten mit Aceton für sehr gute Belüftung zu sorgen… Jetzt konnten die stählernen Hoofdtaue auch bemalt werden. Vom Rahmen abgenommen hatten die Wanten eine sehr hohe Stabilität und ließen sich wunderbar weiter verarbeiten. Dieser Wantenwebrahmen funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip wie die manchen Bausätzen beiliegenden Rahmen, wer keinen hat, kann sich mit diesen Teilen schnell einen bauen. Ich werde an anderer Stelle das Gerät detailliert vorstellen.

Ein ebenso sinnvolles Utensil ist eine Bauhelling für die Modelle. Auf dem einen oder anderen Foto ist diese einfache aber sehr hilfreiche Einrichtung zu sehen. Mit ein paar Holzstückchen aus der Restekiste war schnell eine Helling zusammengezimmert. So war es möglich, die Modelle in fast jede Position zu bringen, ohne das Schiffchen selbst berühren zu müssen. Auch standen sie so fest und sicher auf der Arbeitsplattform und konnten bei Bedarf in einen kleinen Schraubstock eingespannt werden.

Nun ging es an die Takelage. Als erstes baute ich die Marsplattformen aus. Mit einfachen Styrolprofilen wurden die strahlenförmigen Rippen auf die Plattform geklebt und die achtere Reling mit einer geteerten Persenning aus Papier bedeckt. Für die Victory habe ich die Bausatzteile weitgehend genutzt, nur für den Stumpf der Großmarsstenge und des Kreuzmastes benutzte ich einen Holzstab, um so die ausgesplitterten Bruchstellen zu zeigen. Untermasten wurden getreu dem Bericht Roberts mit übrigen Rahen aus dem Bausatz geschient. Die vier verbliebenen Rahen für Fock-, Groß- und Großmarssegel sowie für das Notsegel am Kreuzmaststumpf wurden nach der Bemalung mit hellem Zwirn spiralig umwickelt, um so den Marlschlag der Segelbefestigung zu imitieren. Die Bauteile für das „stehende“ Rigg waren soweit vorbereitet – es fehlten noch Segel und Flaggen.

Die Segel entstanden aus bewährtem Japanpapier. Die kleinen Flaggen, hier nur die Kriegsflagge für das Heck und die Englandfahne für den Fockmast, malte ich mit den erwähnten REVELL-Farben auf Seidenpapier. Alle Segel wurden mit ihrer Takelage versehen, Kleidersäume, Dopplungen und Reffbändsel nur aufgezeichnet und dann die Segel an die Rahen geklebt. Diese hatte ich zuvor mit einem einfachen „Rack“ aus einer Garnschlinge versehen, um sie sicher am Mast befestigen zu können und dennoch eine gewisse Beweglichkeit der Rah zu erhalten. Selbstverständlich waren die Segel der Victory, wie bei allen anderen Schiffen, nach der Schlacht und dem Sturm meist unbrauchbare Fetzen. An den Modellen sind aber keine Löcher in den Segeln zu sehen… Natürlich hatten die Schiffe dieser Zeit nicht nur einen Satz Segel an den Rahen hängen, sondern verfügten über Ersatzsegel, die in der Segellast aufbewahrt wurden. Um das Schiff – auch die Neptune – manövrierfähig und in Fahrt zu halten, wurde also ein neues Stell Segel geheißt. Auf der Victory nur das Vormarsstag-, Fock-, Großmars- und Großsegel. Achtern setzte man ein weiteres kleines Notsegel, dessen Form ich nicht genau ersehen konnte – ich habe einfach mal ein weiteres Rahsegel angenommen, auf dem Gemälde wird dieses Segel gerade gefiert. Viel mehr als Ruderfahrt wird die Victory ohne Hilfe trotzdem nicht geschafft haben.

Nach der Anbringung der Segel setzte ich die Stage, ein Vorstag, das Großstag und ein Großmarsstag. Schratsegel sind keine weiteren erwähnt, weder im Bericht noch auf dem Gemälde dargestellt. Die durchhängenden Schoten und Halsen der Untersegel stellte ich aus sehr dünnem Lötdraht her (MaKo sei Dank), der sich nach dem Abwaschen mit Aceton gut bemalen und kleben ließ. Auch die Fahne am Vormast wurde an diesem Draht gehisst, die Flagge achtern ist an einer Stecknadel als Flaggstock befestigt. Mit dem Aufriggen der Toppnanten waren die Arbeiten an der Takelage der Victory abgeschlossen.

Letzte Schritte waren das Anmustern der Crew und der eine oder andere Farbtupfer für Korrekturen. Bis die Victory mit der Neptune „zu Wasser“ gelassen werden konnte, verschwand sie erst einmal im Schrank.

Der Umbau zur Neptune

Wie schon erwähnt, fallen bei diesen beiden Schiffen zunächst einmal nur die Gemeinsamkeiten auf. Doch gibt es einige Unterschiede, die mit eigentlich recht geringem Aufwand wiedergegeben werden können. Der Überprüfung durch einen professionellen Marinehistoriker wird meine Darstellung der Neptune sicherlich nicht standhalten, ich habe aber versucht, ihre wesentlichen Unterscheidungsmerkmale gegenüber der Victory herauszuarbeiten.

Auch die Neptune hatte in der Schlacht massiv gelitten. Ihre Takelage war stark zerschossen, auch der Rumpf hatte viele Treffer eingesteckt, allerdings konnte ihre Mannschaft das Schiff schnell wieder in Stand setzen. Auf dem Gemälde können die Schäden an der Neptune aufgrund der Perspektive nicht eingesehen werden. Sie gehörte zu den aktivsten Schiffe vor Trafalgar und legte sich u. a. mit der Santissima Trinidad an.

Das wichtigste und auffälligste Teil der Neptune ist die Galionsfigur – natürlich der römische Meeresgott Neptun. Das war relativ einfach. Aus dem Figurenfundus die Figur eines badenden Mannes mit Badehose im Maßstab 1/160 mit einer Mistgabel ausgerüstet, fertig war die Galionsfigur. Deutlich aufwändiger war der Umbau des Heckspiegels. Die obere Fensterreihe wurde ausgesägt und die Öffnung mit einem etwa drei Millimeter tiefen Kasten aus Plastikstreifen wieder geschlossen. So entstand eine offene Galerie oder Balkon.

Weitere Änderungen an dem Bausatz waren durch Entfernen angegossener Teile oder Schließen der Mittelpforte erledigt. Ein wesentlicher Unterschied der beiden Schiffe entstand durch die Bemalung der Rümpfe. Ist die Victory sicher mit gelben Streifen bemalt gewesen, so kann die Neptune durchaus weiße Streifen an den Bordwänden gehabt haben. Auch diese Streifen und ihre Farbgebung werden gern und viel diskutiert. Um die Anzahl der Geschützpforten zu reduzieren, machte ich aus den Pforten im Kampagnedeck Fenster mit Fensterkreuzen aus Styrolleisten. Durch Weglassen der Karronaden auf der Back und dieser insgesamt vier Fenster war die Zahl von 98 Geschützen erreicht und die Victory/Neptune zum Linienschiff 2. Ranges abgestuft worden. Wie auf der Victory sind die sichtbaren Geschütze mit ihren Takeln ausgerüstet.

Um einen weiteren Unterschied hervorzuheben, erhöhte ich die Bordwände der Neptune um ihre Finknetzkästen. Diese Kästen, befüllt mit den Hängematten der Mannschaft, hatten als zusätzlicher Kugelfang auf dem Schanzkleid gedient. Hergestellt aus Plastikprofilen und kurzen Drahtabschnitten wurden sie auf die Bordwände geklebt.

Die Takelage der Neptune ist wieder fast vollständig hergestellt. Bis auf das Kreuzbramstagsegel sind alle Schratsegel gesetzt, das Kreuzbramsegel wird gerade gefiert, der Außenklüver eingeholt und das Großsegel festgelascht. Leesegelspieren sind noch nicht wieder ergänzt, auch die Neptune hat ein neues Stell Segel gesetzt.

Die Boote

Die den Bausätzen beiliegenden Boote sind insgesamt zu wenig. Für die darzustellende Situation sollten sie aber ausreichen. Geht man davon aus, dass ein Teil der Boote in der Schlacht zerstört wurde oder während des Sturms verloren ging, reicht die Anzahl aus. Für die vollständige Ausrüstung allerdings fehlen mindestens vier Boote in verschiedenen Größen.

Nach dem Dünnerschleifen wurden die Bordwände achtern und teilweise vorn mit Styrolstreifen erhöht, die Boote mit hier noch selbst gebauten Riemen ausgerüstet und überall kleine Taubunschen aus Lötdraht eingelegt.

Die Neptune verfügt so noch über vier Boote, der Victory verblieb nur der Kutter. Bevor bei der Neptune Rumpf- und Decksteile zusammengefügt wurden, verzurrte ich die Boote auf den Decksbalken über der Kuhl.

Die anderen kleinen Fahrzeuge auf dem Gemälde fand ich in meinem mittlerweile reichhaltigen Restefundus. Die Boote im Vordergrund des Gemäldes sind anscheinend Arbeitsboote der Navy und zwei Fischer- oder Händlerboote mit mediterranem Rigg. Das Boot im Vordergrund ist mit einem Sprietsegel getakelt, das etwas größere Fahrzeug im Bildmittelgrund fährt ein Lateinsegel. Die Navyboote sind mit Sicherheit auch mit Segeln ausgerüstet, momentan aber ist die Segeleinrichtung komplett abgetakelt und liegt längs auf den Duchten. Auch hier sind alle Boote mit Riemen, Taubunschen, Fässern und Rudern ausgerüstet.

Die Crew

Ein solches Diorama ohne Figuren oder nur einigen wenigen Männlein wirkt wie tot. Auf dem Gemälde sind eine Menge Leute zu sehen, besonders vorn auf den Booten. Durch den Maßstab ziemlich festgelegt, dachte ich, es würde schwierig, dafür die richtigen Figuren zu finden. Tatsächlich war es dann eine Sache von wenigen Minuten und die Männlein waren in Japan bestellt. Trotz Coronapandemie hat es nur etwa vier Wochen gedauert, bis die Figuren ankamen.

Es handelt sich dabei um Figuren für den in Europa wenig gebräuchlichen Eisenbahnmaßstab ZZ, etwa 1:300. In Asien respektive Japan ist dieser Maßstab recht beliebt, so werden dort auch entsprechende Figuren hergestellt. Viele erinnerten aber sehr stark an etwas größere „Preiserlein“…

Umbauten waren nur für die Marines nötig. Auf beiden Schiffen tun je zehn Marines ihren Dienst, dazu erhielten einige Figuren einen Hut und eine Muskete aus einem Stahlstab.

Ziemlich anstrengend war die Bemalung der kleinen Teerjacken, als Vorlage diente Geoff Hunts Buch The Frigate Surprise (siehe Buchbesprechung), Seite 55. Hier ist die Mannschaft einer Fregatte sehr schön gezeichnet. Die meisten Matrosen meines Dioramas erhielten Klamotten aus hellem Segeltuch, einige die Teerjacken, Halstücher, Schuhe, Zöpfe und Messer, die mit einem feinen Tuschestift aufgemalt wurden. Offiziere tragen weiße Hosen und blaue Jacken.

Einige Lords sitzen außenbords auf eingehängten Duchten und reparieren Schäden an der Bordwand. Auf den Booten im Vordergrund ist die auf dem Ölgemälde sichtbare Anzahl an Personen aufgestellt, auch hier sind Marinesoldaten an Bord.

Ich ziehe den Hut vor den Modellbauern, die solche Figuren in großer Zahl selbst bauen... Manch einer sagt, die verwendeten Figuren erschienen etwas zu groß, tatsächlich macht es auch den Eindruck, aber rein rechnerisch haben die fünf bis sechs Millimeter großen Figuren eine Durchschnittsgröße von maximal 1,75 m! Insgesamt sind auf beiden Schiffen ca. 160 Figuren aufgestellt, auf den kleinen Booten noch weitere 16.

Das Meer in der Bucht von Algeciras

In bewährter Methode in einen aus drei Teilen verleimten Balsablock geschnitten, formte ich die nach dem Sturm noch recht kabbelige See. Zuvor jedoch wurden die Positionen aller Fahrzeuge auf dem Meer festgelegt und die Wasserlinienumrisse ausgeschnitten. Die Victory machte einen Fuß Wasser pro Stunde, liegt also etwas tiefer im Wasser als die Neptune. Wie immer fiel die Farbwahl sehr schwer, die Vorlage zeigt ein eher dunkles Grau-Grün mit hellem Sonnenglast auf einigen Wellen. Die geschnitzte Holzfläche grundierte ich weiß, dann folgten mehrere lasierende Anstriche von hellem Türkis immer dunkler werdend bis zu einem Schwarzgrün. Wellenkämme und Schaumkronen gestaltete ich mit klarem Acrylgel und weißen Farbtupfern, den Schaum an den Schiffsrümpfen, die Bugwellen, brachte ich aus „Terrain Snow“ von AK auf, kleine, verbliebene Spalten zwischen Rumpf und Holzwasser füllte ich auch damit. Die Schlepptrosse wird durch zwei Bojen an der Wasseroberfläche gehalten, zwar nicht straff gespannt, taucht sie also nicht sehr tief ein. Die Trosse läuft durch die Heckpforten der Neptune an ihre Großbeting, bei der Victory durch die Ankerklüsen ebenfalls an die Großbeting. Möglicherweise waren zur Sicherung sogar zwei Trossen zwischen den Schiffen.

Durch die langsame Fahrt der beiden Schiffe entsteht keine ausgeprägte Hecksee, durch die kabbelige Oberfläche des Meeres wäre diese ohnehin schnell verwaschen.

Die Flaggen

Durch das Gemälde und den Marinestandard ist der Flaggenschmuck weitgehend vorgegeben. Dennoch gönnte ich mir ein wenig „künstlerische“ Freiheit.

Die Flaggen der Victory sind oben schon beschrieben, es macht auf dem Bild den Eindruck, als wäre die Nationale am Heck auf Halbmast gesetzt.

Die Neptune mit Thomas Freemantle als Kapitän hat neben den Nationalflaggen an Fockmast und Gaffelpiek noch einen Kommandantenwimpel und einige Signalflaggen gesetzt.

Dieses Signal ist auf dem Gemälde nicht dargestellt, ich habe es auf einer Flasche Pusser's Rum - „Nelsons Blood“ - gesehen. Es bedeutet „Splice the Mainbrace!“ oder zu deutsch „Spleiß die Großbrass`!“, im übertragenen Sinne eine Empfehlung des kommandierenden Offiziers, doppelte Rationen Rum an die Mannschaft zu verteilen! Noch heute lädt der Angelsachse seine Freunde mit diesem Ausspruch zum Trinken ein…

Das Material für die Flaggen war Seidenpapier aus einer Oberhemdverpackung, weiß grundiert und mit Revell-Aqua Farben bemalt. Nach dem Trocknen nochmals mit Weißleimlösung getränkt, mehrfach geknüllt und dann wieder getrocknet, halten die Flaggen ihre Form. Bei dem langen Wimpel musste ich etwas tricksen, der hat an der Oberkante einen dünnen Draht aufgeleimt, so konnte ich den Wimpel ein wenig formen und er bleibt auch stehen.

Ich habe versucht, alle Schiffe und Boote so auf dem Meer zu positionieren, dass ich ein Foto mit ähnlicher Komposition wie das Gemälde machen konnte. So ganz ist dies nicht gelungen, das folgende Bild kommt dem aber wohl noch am nächsten.

Alle anderen Bilder zeigen das Diorama aus verschiedenen Blickwinkeln.

Abschließend wird das Diorama noch in einen Eichenrahmen gesetzt und mit einer Glashaube geschützt.

Fazit

Das ganze Projekt hat sehr viel Spaß gemacht. Man sieht, auch aus einem relativ einfachen Bausatz ist einiges herauszuholen. Das Potenzial ist dabei noch nicht erschöpft. Die Praxis der britischen Marine, aus den teuren, stark bemannten Dreidecker-Linienschiffen kleinere Einheiten mit zwei Decks zu 74 Kanonen zu machen, sogenannte „Razees“, eröffnet noch viele weitere Möglichkeiten – auch zur Darstellung anderer Situationen nicht nur in der Trafalgarschlacht.

Die Originalbausätze enthalten knapp 70 Teile, jetzt besteht die Neptune inklusive der Figuren aus etwa 700 Einzelteilen, die Victory aus ca. 500.

Frank Brüninghaus
Modellbauclub Koblenz