Santa Maria, eine Legende in 1/90 von Wolfgang Kring

Einleitung

Es gibt Modelle von denen eine unerklärliche Faszination ausgeht oder die einfach nur durch ihren Charme bezaubern.
Für mich gehört die Santa Maria von Revell in 1:90 unbestritten zu diesen Besonderheiten. Anfang der Achtziger war sie eines meiner ersten Modelle überhaupt. Lange Jahre zierte sie meine Jugendzimmer und überlebte trotz mancher Blessuren und Abstürze viele andere Bausätze. So stand es auch außer Frage, dass ich sie mir 1993 zum 500ten Jubiläum der Entdeckung Amerikas nochmals auf Stapel legte. Jetzt gibt es sie wieder und erneut konnte ich mich ihrem Zauber nicht entziehen.

Wie der Stempel verrät ist die Santa Maria Baujahr 1954 Sichtbare Alterserscheinungen sind Fischhaut… …und andere Verformungen

Sicherlich darf man an dieses alte Modell nicht mit dem Anspruch herangehen, ein authentisches Abbild des Originals zu erhalten. Alleine schon deshalb, weil niemand mehr sagen kann, wie die Santa Maria tatsächlich ausgesehen hat, aber auch weil die Form zum Modell aus dem Jahr 1956 stammt und dem damaligen Stand der Technik im Formenbau entspricht. Fehlende Strukturierung (Holzmaserung), vereinfachte Darstellung der Details und die überschaubare Anzahl der Einzelteile sind nur ein paar der Merkmale unserer alten Dame. Weitere Alterserscheinungen sind Fischhäute und Sinkstellen. Doch genau das verleiht dem ehrwürdigen Modell seinen Charme und macht es unter den heutigen High-tech Bausätzen so sympathisch; schließlich ist die Santa Maria auch ein Stück von Revells Firmengeschichte.
Bei der vorliegenden Neuauflage hat lediglich die Bauanleitung, der Abziehbildbogen mit den Wappenschilden und der Flaggensatz ein kleines Lifting verordnet bekommen; ansonsten sieht diese ehrwürdige Dame, gemessen an ihrem hohen Alter auch heute doch noch relativ gut aus.

Geschichte

Der Name „Santa Maria“ ist wohl untrennbar mit Christoph Columbus verbunden, dem sie auf seiner ersten Entdeckungsfahrt nach Amerika als Flaggschiff diente.
Der aus Genua stammende Columbus hatte die aus damaliger Sicht fixe Idee, China westwärts über den Atlantik zu erreichen. Beim portugiesischen Königshaus abgeblitzt stieß er beim spanischen Königspaar Ferdinand und Isabella auf mehr Gehör. Die spanische Hafenstadt Palos wurde mit der Ausrüstung einer kleinen Flotte beauftragt. Dort war man nicht besonders angetan davon, diesen wirren Ausländer zu unterstützen und das Vorhaben geriet ins Stocken. Hilfe erhielt Kolumbus vom einheimischen Kapitän Martin Alonso Pinzon, der dafür sorgte, dass zumindest zwei kleinere Karavellen, die Nina und die Pinta für die geplante Fahrt ausgerüstet werden konnten. Doch Kolumbus begab sich auf die Suche nach einem weiteren, einem größeren Schiff und fand in „Puerto de Santa Maria“ (!) die baskische Karracke „La Gallega“. Es gelang ihm, sie samt Besatzung für sein Abenteuer als Flaggschiff zu chartern. Dass er sie in „Santa Maria“ umbenannt hat gilt inzwischen als umstritten; Kolumbus selber nannte sie nur Nao, was im damaligen Sprachgebrauch nichts anderes als Schiff, oder großes Schiff bedeutete. Weder in seinen persönlichen Aufzeichnungen, noch im Logbuch seiner Reise wurde der Name „Santa Maria“ erwähnt, wohingegen die beiden anderen Schiffe beim Namen genannt wurden.

Santa Maria, eine Legende in 1/90 von Wolfgang Kring Santa Maria, eine Legende in 1/90 von Wolfgang Kring Santa Maria, eine Legende in 1/90 von Wolfgang Kring

Die kleine Flotte stieß Anfang August 1492 in See und erreichte am 12. Oktober nach vielen Schwierigkeiten die Küste einer der kleineren karibischen Inseln; der Rest ist Geschichte. Für die Santa Maria sollte es ihre letzte Fahrt werden. In der Nacht zum 25. Dezember driftete sie vor der Küste von Haiti liegend auf eine Sandbank (oder Riff), schlug leck und konnte trotz aller Bemühungen nicht mehr gerettet werden.
Da auf den beiden kleineren Schiffen nicht genügend Platz für alle Besatzungsmitglieder war blieben einige Seefahrer auf der Insel zurück und erbauten sich aus den Planken der Santa Maria ein kleines Fort und Hütten. Die Siedlung wurde Navidad genannt, konnte sich aber nicht lange halten. Von ihr und somit auch von der Santa Maria blieb nichts übrig.

Das Modell

Anders als bei ihren beiden von mir gebauten Vorgängern entschied ich mich dieses mal, die „Santa Maria“ in ein Diorama einzusetzen. Mein erster Gedanke war natürlich das Szenerio der Entdeckung Amerikas, mit Kolumbus am Strand der neuen Welt. Doch davon gibt es schon zu viele Darstellungen und mir fiel das alte Deckelbild von Revell ein, das bis in die 80er Jahre die Schachteln der Santa Maria zierte. Darauf zu sehen war die spanische Königin, die Kolumbus und seine Flotte verabschiedet.

Auf die Bodenplatte meines Dioramas setzte ich einen kleinen Ausschnitt der Hafenmole aus Eisenbahner Zubehör. Die Wasserfläche formte ich wie üblich aus Acrylgel, das ich auf eine Styroporplatte auftrug.

Meine Vorlage, das alte Deckelbild von Revell

Der Bau des Modells selbst brachte keine wesentlichen Schwierigkeiten mit sich. Bereits beim erstmaligen Zusammenstecken der Hauptbauteile des Rumpfes merkte ich dass die von Haus aus schon füllige Dame Santa Maria in den letzten Jahren noch zusätzlich ein wenig aus der Form geraten ist. Doch mit Feile und Skalpell waren die notwendigen Schönheitsoperationen an der alten Lady problemlos zu bewerkstelligen. Etwas arbeitsintensiver gestaltete sich das „Facelifting“ am Heckspiegel, der so gar nicht zwischen die beiden Rumpfhälften und zum Deck passen wollte. Hier musste ich doch etwas mehr schleifen und mit Putty -dem Botox der Modellbauer- arbeiten. Mit einem Sägemesser aus der Küche schnitt ich das Unterwasserschiff ab. Die wenigen Teile der Masten und des Bugsprits hingegen waren einfach zusammen zu bauen. Sie mussten lediglich entgratet und der Mastkorb von angegossener Fischhaut zwischen den Streben befreit werden. Auch die Taljen brauchten eine kleine Auffrischungskur. Aus den oberen Blöcken ragt ein Dorn, an dem die Wanten festgeknotet werden sollten; wieder eines der Überbleibsel aus den 50’er Jahren. Diese Dornen habe ich kurzum abgetrennt und die Blöcke durchbohrt, um später den Faden für die Wanten darin zu verknoten.

Die aufgebohrten TaljenblöckeProblembereich Heck; es wollte einfach nicht passenProblembereich Heck am fertigen Modell

Eine weitere Herausforderung der Santa Maria war die Bemalung. Trotz ihrer fehlenden Oberflächenstrukturierung sollte sie wie ein Holzschiff wirken. Ich hatte, entgegen der Bauanleitung, die Deckteile bereits von Anfang an an eine der beiden Rumpfhälften geklebt. So erreichte ich mehr Stabilität der Baugruppe und kam trotzdem beim Bemalen noch überall hin. Die Grundierung erfolgte mit dem hellen Braunton Humbrol 119. Als zweiten Schritt folgte Revell 86 für das Deck und Humbrol 160 für Rumpf und Aufbauten. Beide Farben wurden mit einem harten alten Borstenpinsel trockengemalt, um so die Grundstruktur der Holzmaserung zu erhalten. Zur Alterung des Schiffes arbeitete ich –stets in der Technik des Trockenmalens- zur Wasserlinie mit immer dunkler werdenden Farben; bis hin zu schwarz, da die Schiffe der damaligen Zeit mit Teerfarbe abgedichtet wurden. Nach oben hin zu den Aufbauten verwendete ich mehr hellere Töne wie grau und weiß, da diese Bereiche des Schiffes (wahrscheinlich) durch die Sonne ausgebleicht waren.
Die seitlichen Schilde grundierte ich mit glänzender weißer Farbe, was das Aufbringen der als Abziehbilder beiliegenden Wappen erleichterte. Nach dem Austrocknen überzog ich diese mit versiegelndem Mattlack.

Holzstruktur dank TrockenmalenDas Takel wächst Faden für Faden…Knoten für Knoten und Block für Block

Das Einkleben der Masten beendete vorerst einmal der „klassische“ Bereich des Modellbaus. Nun war es an der Zeit mich der „Königsdisziplin“ des Segelschiffbaus zu widmen: der Takelage. Knoten für Knoten, Block für Block füllte sich das Modell mit stehendem und laufendem Gut. Verwendung fand dabei schwarzer Faden für stehendes Gut wie Wanten (seitlich der Masten) und andere für die Standfestigkeit der Masten wichtige Verspannungen (z.B.: Stage). Um dieses gegen Witterungseinflüsse unempfindlicher zu machen wurde es in der Regel mit Teerfarbe bestrichen. Laufendes Gut, wie zum Beispiel alle Taue, die zum einholen oder hissen der Segel benötigt wurden, blieben unbehandelt und wurden im Modell mit braunen Fäden dargestellt.
Die Takelage ist im Modell vereinfacht dargestellt, was nicht darüber wegtäuschen sollte, dass sie einiges an Geduld, Fingerspitzengefühl und Zeit beansprucht.

Der Bugspriet: Schöner Effekt trotz vereinfachter TakelageLadung an Deck

Die beiliegenden Plastiksegel alterte ich mit verschiedenen Lagen verdünnter Braun- und Grüntöne. Die Abziehbilder in Form roter Kreuze waren problemlos zu verarbeiten und erhielten zu guter letzt auch noch ein Washing verdünnter “Schmutzfarben“ um das doch sehr knallige rot ein wenig abzumildern.
Beim Takeln und Anbringen der Segel habe ich mich weitgehend an die Bauanleitung gehalten und auf mehr Detaillierung verzichtet. Der Bau der Santa Maria war und blieb ein Nostalgiewerk. Außerdem wollte ich eine elegante, dezente ältere Dame und keine aufgetakelte alte Fregatte bauen.
Während des Baus und den ersten Stellproben auf dem Diorama erinnerte ich mich an einen limitierten Satz Preiserfiguren aus den Neunzigern mit dem Titel „Christopher Kolumbus 1492“ im Maßstab 1:87. Da dieser im Handel nicht mehr zu finden war, versuchte ich es direkt bei Preiser und zu meiner Überraschung lagen dort noch ein paar davon auf Lager. Glück muss man haben… und das nötige Kleingeld.
Allerdings waren in dem Satz mehrere Indio-Figuren enthalten, die für die gewählte Abschiedsszene nicht unbedingt passten. Also wanderten sie in meine Ersatzteilkiste und werden dort wohl auf eine mögliche Neuauflage der Nina oder Pinta (und einem Diorama in der Karibik) warten. Kolumbus und co waren gefunden. Für die Königin, den Mönch und all die anderen Statisten im Hafen brauchte ich jedoch weitere Figuren. Bauern, Bergsteiger und diverse Einzelfiguren im Maßstab 1:87, die zum Teil umgebaut oder auch nur umbemalt werden mussten, rundeten das Bild ab.

Die zu kleine Besatzung der Santa und die Indios dürfen nicht mitspielenKönigin Isabella und ihr Hofstaat verabschieden KolumbusGenerationstreffen. Dazwischen liegen 15 Jahre Modellbau

Am meisten ärgerte mich dabei Königin Isabella. Ursprünglich hoffte ich eine Brautfigur mit langem weißen Kleid ohne größere Änderungen verwenden zu können. Allerdings fand ich keine mit passender Körperhaltung und ersetzte deshalb Ihre Hoheit durch ein braves Bauernmädel, in königlichem Gewand aus Plastilin und mit Holzleim getränkten Stücken Papiertaschentuch.
Die der Santa Maria beiliegenden Seeleute erwiesen sich in der Kombination mit den andern Figuren leider als zu klein und wanderten zu den Indios ins Ersatzteillager.
Jetzt galt es nur noch, Besatzung und den Hofstaat möglichst vorbildgetreu auf das Diorama zu setzten und fertig war ein schönes Stück Nostalgie.

Santa Maria, eine Legende in 1/90 von Wolfgang Kring

Die Santa Maria hat schon ganze Generationen Modellbauer begleitet und wird dies auch in Zukunft tun. Sie eignet sich ideal als Einstiegsmodell im Bereich der Segelschiffe.
…und eines Tages wird eine Santa Maria von Revell auch im Jugendzimmer meines Sohnes stehen! Auch wenn das noch ein wenig dauern kann -er ist gerade erst drei Jahre alt- so freue ich mich doch schon darauf, ihm beim Bau der alten Dame zu helfen.

Wolfgang Kring