Auf nach Gotland!
Im März 1398 segelte eine Flotte, der mit dem deutschen Ritterorden verbündeten Hansestädte zur Insel Gotland in der Ostsee. Ziel war es die “Vitalienbrüder“ genannten Seeräuber in ihrem dortigen Winterlager zu überraschen und zu vernichten. Mit 84 Schiffen fuhren annähernd 4000 Mann über die Ostsee. Jede der verbündeten Städte hatte ein gewisses Kontingent an Schiffen, Ausrüstung, Belagerungsgerät und Bewaffneten zu stellen. Die Hansestadt Elbing (heute Elblag in Polen) war mit mindestens 95 kampffähigen Männern an diesem Unternehmen beteiligt. Nach der Landung am 21 März wurde zuerst eine Burg erobert und in den folgenden Tagen die Stadt Visby von Land- als auch von Seeseite her angegriffen. Die überlebenden Piraten flüchteten nach Friesland; die Handelsrouten durch die Ostsee waren vorübergehend wieder sicher.
Das Modell
Mit dem neuen Modell, der „Elbinger Kogge“ schließt Revell eine historische Lücke im Sortiment, die bisher zwischen dem Wikingerschiff und der Santa Maria klaffte. Allerdings: Ganz neu ist dieser Bausatz nicht. Vielmehr handelt es sich 1:1 um die vor drei Jahren bei dem russischen Hersteller Zvezda erschienen Modell der „Hansa Kogge“. Wirklich neu sind der Wappen- und der Flaggensatz in den Stadtfarben der alten Hansestadt Elbing, ein zusätzlicher Flaggenstock, der aus gezogenem Gußast selber herzustellen ist und die auf 44 Bauschritte erweiterte Anleitung. Erfreulich dabei ist die ausführliche Beschreibung über Geschichte, Eigenart und Verwendung der Koggen. Mit Elbing als „Heimathafen“ der Kogge hat Revell mehr historisches Gespür bewiesen als Zvezda.
Zur Geschichte: Die Hansestadt Elbing wurde 1237 von Lübecker Siedlern auf dem Gebiet des Deutschen Ritterordens gegründet. Während die Siedler die Wappenfarben ihrer alten Heimatstadt, rot und weiß mitbrachten sollten die Kreuze im Stadtwappen die Verbundenheit zum neuen Landesherrn symbolisieren. Auf dem Stadtsiegel von 1350 war eine Kogge mit Heck- und Bugkastell abgebildet. Auch weitere Details an Rumpf und Takelung sind zu erkennen. In der Literatur der letzten 80 Jahre fand ich einige mehr oder weniger gelungene Rekonstruktionsversuche der Kogge dieses Elbinger Stadsiegels.
Bis 1962, dem Jahr als in Bremen eine (fast) komplette Kogge ausgegraben wurde konnte in Vielem, hinsichtlich Konstruktion, Aufbau und anderer typischer Merkmale nur spekuliert werden. Die einzigen Hinweise boten zeitgenössische Illustrationen und eine große Anzahl vergleichbarer Stadtsiegeln der einst stolzen Hansestädte. Problematisch dabei –vor allem für die moderne Forschung- war stets der fehlende Maßstab, die künstlerische Ungenauigkeit und oft auch die starke Vereinfachung der Abbildungen. Einen Rekonstruktionsversuch einer Kogge aus dem Jahr 1961 (vor dem Bremer Fund) fand ich im Buch „The Ship“ von Björn Landström. Grundlage dafür war eben dieses Elbinger Siegel von 1350. Auch andere Rekonstruktionen ähnelten auffällig oft diesem Siegel. Offensichtlich haben sich auch die Formenbauer zu dem vorliegenden Bausatz stark von diesem „Idealbild“ einer Kogge inspirieren lassen. Vielleicht wurden deswegen auch einige Ungenauigkeiten, die nicht mehr den heutigen Wissensstand entsprechen, übernommen.
Nicht nur dank des Bremer Fundes, auch durch zahlreiche weitere Ausgrabungen der letzten Jahre weiß man inzwischen, dass die Decksbeplankung quer lag und nicht wie im Modell in Längsrichtung. Auch sind Ladeluken, wie im Bausatz vorhanden, damals in Nordeuropa (noch) nicht bekannt gewesen. Deckplanken wurden mit Fingerlöchern abgehoben, um so an den darunter liegenden Laderaum zu gelangen. Nicht ganz dem gewohnten Niveau von Revell entsprechend sind die zahlreichen und oftmals gut sichtbaren Auswurfmale, die teilweise nicht vorhandene (Holz-)Struktur an einigen Bauteilen und das dicke Hartplastiksegel. Hier merkt man, dass die Form eingekauft und nicht von Revell selbst entworfen wurde.
Der Bau
Die Kogge kann als Vollrumpf- oder als Wasserlinienmodell gebaut werden. Neben den beiden Rumpfhälften legt das Unterwasserschiff als separates Teil bei. Ich entschied mich für den Bau eines kleinen Dioramas; nicht zu letzt auch deshalb, weil das Unterwasserschiff nicht hundertprozentig passt. Der Versatz geht quer über die Plankenstruktur und Holzmaserung und wäre nur mit viel Arbeit auszugleichen, da Verspachteln und Schleifen wegen der Oberflächenstruktur nur eingeschränkt möglich wäre.
Zu aller erst fügte ich die beiden Hälften zusammen und klebte das Zwischendeck an seinen Platz. Bevor ich das Hauptdeck einsetzte, entfernte ich den auf diesem Teil angegossenen Rahmen der Ladeluke. Auch die beiden Kastelle waren schnell zusammengesetzt. Allerdings zeigt das Elbinger Siegel einen seitlich geschlossenen Heckaufbau. Im Modell war dieser offen. Aus dünnen Holzleisten leimte ich mir die Seitenwände zusammen, schnitt sie in Form und verblendete die Seiten des Heckkastells. Auch zum Deck hin verblendete ich einen Teil des Aufbaus -nicht zuletzt auch, um einen gewissen Unterschied zwischen der Revell und der Zvezda Kogge in meiner Vitrine zu erreichen.
Bevor ich mich an die Ausrichtung der Decksbeplankung machte strich ich den Rumpf in dunklen Brauntönen, da Schiffe im Mittelalter zum Schutz gegen Verfaulen u.a. mit Teer bestrichen wurden. Zur Alterung folgten mehrere trocken gemalte Schichten Farbe (hell und dunkelbraun, moosgrün, dunkelgrau, weiß,…). Das heißt, ich habe mit einem alten, harten Borstenpinsel nur jeweils ein Minimum an Farbe aufgetragen um die Holzstruktur, die Konturen und Gebrauchsspuren herauszuarbeiten. Nach dem Trocknen begann ich das Deck mit dünnen Holzleisten quer zum Rumpf auszulegen. So konnte ich zum Einen die falsche Ausrichtung des Modells korrigieren, zum Anderen hatte ich so automatisch ein Deck mit Holzstruktur. Nach der Bemalung in hellem braun wurde es mit mehreren Farbschichten (vor allem mit weiß und hellgrau) gealtert. Die Decks der Kastelle habe ich der Einfach halber in ihrer Ausrichtung belassen.
Auch Mast und Takelage habe ich gemäß der Bauanleitung angefertigt. Lediglich die dicken Taljen habe ich durch Fäden ersetzt. Auch das „tonnenschwere“, dicke Plastiksegel wollte ich nicht übernehmen. Die angegossene Rah habe ich abgetrennt, gesäubert und anschließend verbaut. Das restliche Segel diente lediglich als Formgeber für mein Papiersegel. Dazu legte ich zwei Lagen (Pack)Papier darüber, die ich mit stark verdünntem Holzleim tränkte bis sie sich der Form des „Plastikklotzes“ angepasst hatten. Luftblasen und Falten habe ich dabei so gut wie möglich mit einem weichen Pinsel von der Mitte weg über den Rand hinaus gestrichen. Nach dem Austrocknen konnte ich das Papiersegel mit Hilfe eines flexiblen Spachtels einfach vom Plastiksegel abheben, die Ränder zuschneiden und anschließend bemalen. Dabei entschied ich mich gegen die rot-weißen Streifen; schließlich hatte ich in den zeitgenössischen (Buch)Illustrationen auch kaum farbige oder gemusterte Segel entdeckt. Schließlich fädelte ich mit einer Nähnadel die Reffbänder und die Aufhänger vorsichtig durchs Papier.
Bevor ich mein Segel an die Rah hängte verteilte ich die Fracht auf dem Deck der Kogge. Neben Holzfässern aus dem Eisenbahner-Zubehör, Feldbefestigungen aus Zahnstochern, Holzstapeln aus verschieden starken Holzleisten und einem gespaltenen Essstäbchen (Bambusholz) verzurrte ich drei Feldgeschütze. Diese sind zwei Kammergeschütze und eine große Bombarde aus Zinn von „Fine Scale Factory“. Die Besatzung ist ein Sammelsurium drei verschiedener Hersteller. Neben einigen Plastik-Figuren des Robin Hood-Sets von „HÄT“ habe ich die Dreiergruppe der Hansebesatzung von „Hecker und Goros“, als auch den brandneuen, 14 Mann starken Satz von „Valdemar Miniatures“ verwendet.
Als Wasserfläche diente mir eine Platte Styropor. Darauf habe ich mit weiteren, zurechtgeschnittenen Styroporsegmenten die Wellen gesetzt. Spachtelmasse von Moltofill diente zur Abrundung und Glättung der Oberfläche bevor ich sie mit mehreren verschiedenen Blau- und Grüntönen nass in nass bemalen – und gleichzeitig versiegeln- konnte. Darauf tupfte ich mit einem breiten Pinsel mehrere dünne Schichten Acrylgel und erzielte so die Feinstruktur der Wasseroberfläche. Der Spalt zwischen Rumpf und „Wasser“ wurde ebenfalls mit Acrylgel verfüllt und entlang des Schiffes mit weißer Enamelfabe trockengebürstet.
Fazit
Revell bietet mit der Kogge ein schönes Modell in gutem Preis- Leistungsverhältnis an, das auch für Ungeübtere leicht zu Bauen ist. Sowohl als Vollrumpfmodell, als auch in einem Diorama beeindruckt sie alleine schon durch ihre Größe. Gerade für ein Segelschiff hält sich die Takelage bei nur einem Masten in angenehmen Grenzen und der Spaß am Bau wird durch zuviel „Strippenzieherei“ nicht beeinträchtigt. Wer sich also mal an ein Segelschiff heranwagen möchte, hat in der Kogge den idealen Bausatz gefunden. Aber auch für Holzwürmer und begeisterte Schiffsbauer bietet die Kogge eine willkommene Abwechslung zu all den wieder und wieder aufgelegten Schiffen der letzten Jahre. In wie weit man sich wirklich an die bekannten historischen Vorbilder heranarbeiten möchte bleibt schließlich jedem selbst überlassen. Für mich war es definitiv nicht die letzte Kogge, die ich gebaut habe.
Wolfgang