… oder: „Am Ende ist man hoffentlich gescheiter als am Anfang – zumindest manchmal!“
Dieses Schiffchen ist quasi ein „Outing“, denn damit bekenne ich mich in aller Offenheit dazu, dem „Steampunk“ zu frönen. Jener antik-futuristisch-technoiden Strömung, die sich oft in recht bizarren Formen und Designs manifestiert. Eigenartige Ungetüme fahren, stapfen, fliegen oder schwimmen da durch diverse Filme oder nehmen in meinen Gedanken Gestalt an. Besonders reizvoll finde ich, dass der Fantasie dabei keine Grenzen gesetzt sind. Kein Vorbild, an das man sich mit Ergebenheit zu halten hat; jede auch noch so absurde technische Konstruktion ist zulässig. Vorzugsweise sollten die Vehikel von Dampfmaschinen angetrieben sein. Natürlich sind auch andere Kraftquellen erlaubt. Die „Schubladisierer“ ordnen Einen dann allerdings dem „Dieselpunk“ zu, was aber in Wahrheit völlig egal ist.
Der Film „The League of Extraordinary Gentlemen“, dem dieses sonderbare Gefährt – die Nautilus – entstammt, gehört trotz einer durchaus beachtlichen Besetzungsliste, wohl eher zu den entbehrlichen Machwerken. Für meine Recherche (was für ein Unfug) war ich allerdings gezwungen, mir etliche Szenen viel Male anzusehen, um diverse Details zu studieren. Der Film wurde dadurch nicht besser – ganz im Gegenteil. Besonders skurril ist allerdings die Sequenz in Venedig. In dieser durchpflügt die Nautilus, ein U-Boot mit den Ausmaßen eines Flugzeugträgers die engen Kanäle der Lagunenstadt. Das Modell ist immerhin 43 cm lang, und wenn dies wie angegeben einem Maßstab von 1:700 entspricht, dann wäre das Original gute 301 m lang und damit also absolut unglaubwürdig wie der ganze Film. Dennoch, das Vehikel selbst übte seit meiner ersten Sichtung immer eine große Anziehungskraft auf mich aus. Es gefällt mir einfach in seiner bizarren Erscheinung: ein futuristisch gestaltetes Schiff, das mit sehr barocken Verzierungen versehen wurde.
Immer wieder durchforstete ich das Internet nach Modellen und Bausätzen der Nautilus. Der nur sehr kurz im Handel befindliche Bausatz der japanischen Firma Wave war natürlich längst ausverkauft. Hie und da wurde er zu grotesken Preisen, so zwischen 300,- und 400,- USD, angeboten. Ein wirklich stolzer Preis für einen eher mittelmäßigen Bausatz. Dies war selbst mir eindeutig zuviel – so groß war die Begeisterung dann doch nicht. Bei einer Redaktionssitzung im Herbst 2011, als es um das Sonderthema „Modelle aus Film und Fernsehen“ bei der nächsten GoModelling ging, und ich von diesem Modell erzählte, warf dann Werner Kampfhofer ein: „Wenn du sie bis zur GoModelling baust, schenke ich dir einen Bausatz, denn ich habe 2 davon!“. Vor Staunen und Überraschung blieb mir der Mund offen stehen. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, diesen Bausatz noch einmal zu bekommen. Als ich nun begann, diesen Artikel zu schreiben, habe ich spaßeshalber noch einmal nachgesehen: es wurde wieder ein Bausatz um sage und schreibe 419,99 USD zum sofortigen Kauf angeboten. Nun weiß ich, dass ich zumindest ein wirklich wertvolles Modell besitze. In Anbetracht dieses Preises wird mir allerdings im Nachhinein noch übel, wenn ich daran denke, wie grob und sorglos ich mit diesem Plastikschatz umgegangen bin.
Da die Zeit bis zur GoModelling äußerst knapp bemessen war, machte ich mich sofort nach Erhalt des Bausatzes ans Werk. Oft und oft hatte ich mir diesen doch eher schwachsinnigen Film angesehen, um einigermaßen zu verstehen, wie das Boot wirklich aussah oder aussehen sollte. Letztendlich kam ich dann darauf, dass es auch bei dem computergenerierten Modell im Film von Szene zu Szene ziemliche Unterschiede gab und ganz offensichtlich verschiedene Modelle verwendet wurden.
Für mich war es unbedingt notwendig, zumindest einige wenige Einblicke in das Innere des Schiffes zu gewähren. Man möge mir verzeihen, aber ich kann einfach nicht anders. So begann ich wie bei fast allen meinen Modellen mit dem Zerschneiden der Bauteile. Löcher wurden gebohrt, ganze Segmente entfernt und, und, und – so kann man echte Werte zerstören! Das kann ich wirklich gut! 400,- US Dollar für weiches, weißes Plastik! Zum Glück dachte ich nicht daran, als ich mein Werk der Zerstörung vollführte. Unter anderem habe ich einige der riesigen Ladetore im Bugbereich und in der Mitte des Schiffes geöffnet. Nun konnte ich ja schlecht diese Scheunentore einfach nur öffnen; also habe ich etwas Innenleben fantasiert um ein wenig Spannung für den Betrachter zu erzeugen.
Da die meisten Oberflächendetails für meinen Geschmack viel zu derb waren, wurden sie mit dem Skalpell entfernt und dann durch neue, feinere, ersetzt. Vor allem die Überdachungen der Tore fielen dieser chirurgischen Maßnahme zum Opfer. Auch die Lamellen der Einströmöffnungen befand ich als zu plump und so wurden neue aus Evergreenstreifen gebaut und eingesetzt.
Als besonders wenig gelungen empfand ich die ganze Turmsektion. Die im Bausatz enthaltenen Bauteile sind einfach viel zu klein für das Modell und entsprechen bestenfalls dem Maßstab 1:1000, wenn nicht einem noch kleineren. Chaotisch, wie es angeblich meinem Naturell entspricht, habe ich dieses Modell bearbeitet: hier etwas ergänzt und dort wieder einen Teil entfernt. Wenn ich es mir recht überlege, verwendete ich außer den fünf Rumpfteilen und den drei Rudern nichts aus dem Bausatz. Das klingt jetzt sehr haarsträubend, aber um ehrlich zu sein, aus besonders vielen Teilen besteht der Bausatz nicht. Ganz leise befällt mich wieder das Gruseln, wenn ich bedenke, dass diese wenigen nicht besonders gut passenden Teile mehr als 400,- USD wert sein sollen …
Sehr lange habe ich gezögert, Veränderungen im Bereich der barocken, reliefartigen Verzierungen vorzunehmen; das würde Stunden des Modellierens mit Magic Sculp und anderen formbaren Materialien bedeuten. Trotzdem habe ich mich dieser Herausforderung gestellt. Wie erwartet zeitraubend, bereitete mir diese Arbeit jedoch das meiste Vergnügen an diesem Modell. Nach einem zögerlichen Beginn blieb letztlich kein Bereich verschont und ich habe mehr oder weniger alle Bereiche nach- bzw. neu modelliert. Die Bauteile selbst bilden leider bei den Verzierungen keine Übergänge, so waren auch diese herzustellen. Das ganze Boot ist eine wahre Orgie an Schnörkeln, Girlanden und anderem Zierrat. Diesen Kontrast zu dem an sich sehr eleganten, beinahe anatomisch geformten Rumpf, empfinde ich als durchaus ansprechend.
Die Bemalung war eine gewisse Herausforderung: Ein weißer Rumpf und silberfarbene Verzierungen sind normalerweise das Grundrezept zum Scheitern. Gut, mit weißen Rümpfen hatte ich zum Glück seit dem Bau meiner USS Brooklyn (siehe auch hier) etwas Erfahrung. Mit den silbernen Applikationen betrat ich jedoch Neuland. Leider kann ich den Farbgebungsprozess mangels Fotos nur beschreiben: Nach dem Grundieren erfolgte ein Preshading mit Dunkelblau für die tiefer liegenden Stellen des Rumpfes und eines mit sehr abgedunkeltem Braun für die Flutschlitze. Dann habe ich mit einer feinen Düse die weiße Fläche, konsequent von oben nach unten, aufgebracht. Das dauerte lang und brauchte Geduld, aber die dadurch etwas unregelmäßig erscheinende Fläche wirkt lebendig und ersäuft nicht die gesamte Form in gleißendem Weiß. Viel schwieriger war das Silber. Schließlich wollte ich es vermeiden, das dass Modell wie ein billiger Plastikpokal aussieht. So war es eine unglaubliche Patzerei: Maskieren – Grundieren – Alclad! Das Ganze wieder mit einem Washing aus Öl brechen, dann wieder etwas auffrischen, weil das Washing zu intensiv war – so ging das viele Male hin und her. Auch die Wasserspuren auf dem Rumpf waren ein ziemliches Geduldspiel. Alles in allem tragen diese Gebrauchspuren und Verschmutzungen dazu bei, das ganze dann doch nicht wie einen Pokal aussehen zu lassen.
Warum ich jetzt hoffentlich gescheiter bin als vorher? Nun, beim Schreiben dieses Artikels bereue ich es bitterlich, nicht mehr Fotos während der Bauphasen gemacht zu haben. Das Argument des Zeitdrucks ist im Nachhinein eigentlich eine ziemlich faule Ausrede. Darum wird in Hinkunft alles viel besser dokumentiert. Ein ganz schöner Lernprozess für einen Modellbauer meines Alters!
Der Grund warum dieses Modell jetzt doch publiziert wird, ist die Technik, mit der die Fotos (Gesamtansichten) gemacht wurden. So ein langes schmales Ungetüm ist üblicherweise ein fotografischer Albtraum: Irgendein Teil versteckt sich immer in der Unschärfe. Es mag einfach nicht gelingen, das ganze Ding von vorne bis hinten in voller Schärfe abzubilden. „Image Stacking“ heißt das Verfahren, das hier Abhilfe schafft. Zum Glück verfüge ich über meinen Schwager, der seit einigen Jahren seine Leidenschaft zur Fotografie entdeckt hat und mit allen möglichen Methoden herumexperimentiert, Zugang zu dieser Technik. Es funktioniert eigentlich ganz einfach. Mit einem speziellen Programm werden vom Objekt, je nach Größe mehrere Aufnahmen mit jeweils unterschiedlicher Fokussierung gemacht (bei der Nautilus waren es ca. 40). Diese Einzelbilder werden dann rechnerisch gestapelt, überlagert und optimiert. Das Resultat ist dann ein durchgehend gut belichtetes und scharfes Foto. Warum eigentlich ganz einfach? Weil es eine Vielzahl von Fehlerquellen gibt. Alleine, dass die elektronisch gesteuerten Blitze auch das machen was die Kamera und die Software wollen, stellt immer wieder eine ziemliche Herausforderung dar. Aber Dank der Hartnäckigkeit von Peter (mein Schwager) hat dann letztendlich doch alles wie geplant funktioniert und diese schönen Fotos sind entstanden.
Autor: Chloé Plattner
Fotos: Chloé Plattner und Peter Nemenz